Mittwoch, 19. Februar 2014

Portfolio "Religion in der Literatur" - 5 Vorurteile gegenüber anderen Religionen



5 Vorurteile gegenüber anderen Religionen

5.1 Nathan der Weise

Gotthold Ephraim Lessing veröffentlicht dieses Werk 1779.

5.1.1 Inhaltsangabe

5.1.1.1 Erster Aufzug

Die Geschichte spielt in Jerusalem zur Zeit des Waffenstillstandes nach dem 3. Kreuzzug. Das Drama beginnt damit, dass der reiche jüdische Nathan von einer Reise nach Hause zurückkehrt, wo er erfährt, dass in seinem Haus ein Brand gewütet hat, dem seinen Pflegetochter nur knapp entkommen konnte und das auch nur wegen der Hilfe eines christlichen Tempelherren. Dieser Tempelherr ist ursprünglich gefangen genommen, doch kurz vor der Vollstreckung von Sultan Saladin befreit worden, da er seinem Bruder Assad, der seit langer Zeit als verschollen gilt, so ähnlich sähe. Daja hat bereits versucht, sich redlich bei ihm zu bedanken, doch er hat sie bisher immer kalt abgewiesen.
Nathan erfährt von dem Derwisch Al-Hafi über die prekäre finanzielle Lage des Sultans.
Al-Hafi kann sich Schatzmeister des Sultans nennen und bittet seinen Schlachtfreund Nathan um Geld, welcher die Bitte jedoch ablehnt.
Der Tempelherr gilt seit längerem als verschwunden, obwohl er des Öfteren „unter Palmen auf und nieder“[1] wandle. Als er wieder gesehen ward, schickt Nathan Daja zu ihm, um ihm seinen tief empfundenen Dank auszusprechen.
Auf den Tempelherrn tritt indes ein Klosterbruder zu, der vom Patriarch geschickt worden ist um den Tempelherrn um zwei Dinge zu bitten: Er solle einen Brief an König Phillip überbringen, der wichtige Kriegsinformationen beinhalte und als er diesen Gefallen ausschlägt, ein Attentat auf den Sultan Saladin ausüben. Der Tempelherr lehnt diese Bitten jedoch ab, er ist sich seiner Schuld dem Sultan gegenüber durchaus klar, denn nur dank seiner Handlung lebt er noch.
Als Daja ihm nach der Begegnung mit dem Klosterbruder anspricht und ihn in das Haus des Juden einladen möchte, rechtfertigt er seine Ablehnung mit seiner Ablehnung gegenüber Juden und damit, dass er es zwar nicht bereue, das Mädchen gerettet zu haben, wohl aber das nächste Mal vorher nachfragen werde, wer denn in dem Haus verbrenne, bevor er wieder einen Juden rette.
„Tempelherr. Ja, ja, verfolgen.
Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn!
Nicht hören! Will von Euch an meine Tat
Nicht fort und fort erinnert sein, bei der
Ich nichts gedacht; die,, wenn ich drüber denke,
Zum Rätsel von mir selbst mir wird. Zwar möcht‘
Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht;
Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr
Seid Schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn
Ich vorher erkund – und brennen lassen
was brennt.
Daja. Bewahre Gott!
Tempelherr. Von heut an tut
Mir den Gefallen wenigstens, und kennt
Mich weiter nicht. Ich bitt Euch drum. Auch laßt
Den Vater mir von Halse. Jud‘ ist Jude.
Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild
Ist längst aus meiner Seele; wenn es je
Da war.“[2]

5.1.1.2 Zweiter Aufzug

Saladin und seine Schwester Sittah spielen Schach, beenden die Partie jedoch, da Saladin einen zerstreuten Eindruck macht. Seine Gedanken drehen sich um die Christen, die den Waffenstillstand nicht verlängert haben und somit einem weiteren Kreuzzug nichts mehr im Wege steht. Saladin beteuert sein Bedauern um den anhaltenden Krieg, denn er hat gehofft, dass die Christen ebenso wie er dazu gewollt sind, die Waffenruhe weiter fort zu führen.
Saladin lässt nach seinem Schatzmeister rufen, um ihn nach weiteren Geldgebern zu fragen. Sittah schlägt vor, Al-Hafis reichen Freund Nathan um eine Leihgabe zu fragen. Al-Hafi möchte seine erfolglosen Bitten jedoch vor seinem Herrn verheimlichen und weicht den Fragen des Sultans immer wieder aus, bis er schließlich verschwindet.
Nach dem komischen Verhalten des Derwischs, grübeln Sittah und Saladin darüber nach, was ihn zu diesem Herumdrucksen verleitet haben könnte. Sittah betont, dass ihr der Derwisch erzählt habe, dass Nathan ein edler und weiser Mann sei, der zudem noch frei von Vorurteilen und mit einem offenen Herzen ausgestattet sei. Während des Gesprächs reift in Sittahs Kopf ein Plan heran, wie sie ohne Gewalt an das Geld gelangen können.
Daja berichtet Nathan, dass der Tempelherr bald um die Ecke käme, woraufhin sie sich mit Recha im Haus „versteckt“. Nathan fängt ihn ab und spricht zu ihm. Der Tempelherr wehrt sofort weitere Dankestiraden des Juden ab und erklärt, dass es seine Pflicht als Tempelherr gewesen ist, das Mädchen aus dem Feuer zu retten. Im folgenden Dialog findet der Tempelherr Zusehens mehr Gefallen an der toleranten Sichtweise von Nathan, welcher seine Überzeugung vertritt, dass jeder Mensch gleich sei mit dem einzigen Unterschied der „Farb‘“ der Kleidung und der Gestalt. Der Tempelherr spricht ihn darauf an, dass es die Juden gewesen sind, die als allererste Religion ihre als die einzig wahre angepriesen haben. Dieser Stolz habe sich dann auf den Christ und auf den Muselmann vererbt. Nathan bittet um Freundschaft, als der Tempelherr ihn verlassen möchte, und argumentiert wie folgt:
„Nathan. Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester
ich nun mich an Euch drängen werden.
-Kommt,
Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet
Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind
Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,
Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch
Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch
Zu heißen!“[3]
Die beiden Männer schließen nach ihrer Unterredung Freundschaft. Beide sind positiv überrascht über die Einstellung des Anderen und zeigen sich froh, jemanden gefunden zu haben, der dieselben Sichtweisen vertritt und eine kritische Haltung einnimmt, ohne alle Vorurteile als wahr hinzunehmen.
Kurz nach der Schließung der Freundschaft erzählt Daja Nathan, dass der Sultan ihn sehen wolle. Der Tempelherr und Nathan unterhalten sich noch kurz über den Sultan und verabreden sich für den gleichen Tag noch. Als Nathan ihn nach seinem Namen fragt, erwidert er, er heiße Curd von Stauffen. Nathan kommt der Name Stauffen sehr bekannt vor, wimmelt den Gedanken jedoch ab und verfolgt ihn erst weiter als der Tempelherr ihn verlassen hat. Nun erfährt der Leser, dass ein Freund von
Nathan – Wolf – ihm sehr ähnlich ist.
Nathan erzählt Daja, dass sie bald den Tempelherrn zu erwarten habe. Nach dem kurzen Gespräch erreicht der Derwisch Al-Hafi das Haus von Nathan. Dieser erfährt erst von Nathan, dass der Sultan nach ihm schickt und versucht ihn vor seinem Gemüt zu warnen. Am Ende des Gesprächs unterrichtet Al-Hafi Nathan davon, dass er von nun an nicht mehr am Hofe des Sultans arbeite und Jerusalem für immer verlasse.

5.1.1.3 Dritter Aufzug

Daja spricht mit Recha über ihre Zukunft und offenbart ihr, dass ihr am liebsten wäre, wenn sie nach Europa ginge, „zu dem Volk, für welches sie geboren wurde“.[4] Daja und Reche haben offensichtlich schon öfter darüber diskutiert, Recha kann sich die Beweggründe von Daja dafür jedoch nicht vor Augen führen.
Als der Tempelherr bei ihnen zu Hause erscheint, empfinden beide bald eine innige Zuneigung füreinander. Der Tempelherr verabschiedet sich jedoch um Nathan aufzusuchen.
Daja und Recha wundern sich über das plötzliche Verschwinden des Tempelherrn und erklären es sich mit den plötzlich aufwallenden Gefühlen, denen er sich nicht imstande sah zu erwehren.
Bei dem Treffen des Sultans und von Nathan, fragt Saladin ihn die Frage aller Fragen: Die Frage nach der einzig wahren Religion – Christentum, Judentum oder Islam.
Nathan denkt eine Weile darüber nach und erklärt sich mit der berühmten Ringparabel.
Ein Ring, mit der Macht vor Gott und Mensch beliebt zu erscheinen, wird von Generation zu Generation an den liebsten Sohn dieser einen Familie weitergegeben und kennzeichnet das Oberhaupt der Familie. Als der Vater sich nicht zwischen seinen drei Söhnen entscheiden kann, lässt er zwei Kopien anfertigen, welche sich in keinster Weise vom Original unterscheiden. Jeder der drei Söhne erhält einen Ring und beginnen zu streiten, wer denn nun das Oberhaupt der Familie sei. Allerdings kann man den richtigen Ring nicht nachweisen, ebenso wenig wie den richtigen Glauben.
Alle Religionen gründen sich auf eine überlieferte Geschichte und diese Geschichten müssten von jedem einzelnen erst angenommen werden. Jede Geschichte und jeder Glaube wird von den eigenen Eltern übermittelt und so in das alltägliche Leben integriert. So steht es niemandem zu, die eigenen Vorfahren Lügner zu strafen, nur um den Vorfahren anderer nicht zu widersprechen, denn niemand bezweifelt das, was man von klein auf liebevoll erlernt hat.
Als die drei Söhne vor einen Richter treten, der entscheiden solle, wer denn nun den richtigen Ring trüge, weist dieser ein Urteil ab. Er kommt zu dem Schluss, dass der richtige Ring wohl verloren gegangen sei, da bei allen die Fähigkeit beliebt zu machen nur für sich selbst wirkt. Jeder der drei solle jedoch die Wahrhaftigkeit des Ringes beweisen, in dem sie ihren Sanftmut, ihre Verträglichkeit, ihr Wohltun und ihre innigste Ergebenheit in Gott beweisen sollen. Laut dem Richter wird sich der richtige Ring erst nach vielen Jahren zeigen. Saladin gesteht, dass der Richter recht gehabt hat und dass diesen bereits vergangenen Jahren noch viele weitere folgen werden.
Nathan gibt ihn als Dank für die Begnadigung des Tempelherrn Geld, um ihn aus seiner schwierigen finanziellen Lage zu befreien. Saladin lässt nach dem Tempelherrn rufen – das Ebenbild Assad soll sich auch seiner Schwester Sittah zeigen und er soll außerdem das Geld überbringen.
Der Tempelherr ringt mit sich – er spürt die Liebe zu Recha, kann sich aber mit dem Gedanken, dass er als Christ sich mit einer Jüdin vereinen soll, nicht sofort anfreunden. Er erkennt jedoch, dass die vorurteilslose Ansicht der Ereignisse eine bessere sei, die dem himmlischen Willen entspricht.
Nathan erkundigt sich ausweichend nach dem Namen des Vaters des Tempelherrn, als dieser ihn um die Hand von Recha bittet. Er lautet Conrad von Stauffen.
Der Tempelherr eröffnet Daja gegenüber seine Liebe zu Recha, welche ihm daraufhin gesteht, dass Recha eigentlich keine Jüdin sei, sondern eine Christin und von Nathan nur aufgenommen worden sei. Der Tempelherr zeigt sich erbost darüber, dass es sich ein Jude anmaßt, eine Christin als Jüdin zu erziehen.

5.1.1.4 Vierter Aufzug

Der Tempelherr sucht nach dieser schockierenden Nachricht den Rat des Patriarchen. Er erzählt ihm die Geschichte und der Patriarch bekennt den Juden sofort für schuldig und würde ihn für diese Lastertat hinrichten lassen.
Als er bei Saladin eintrifft, verstehen sich die beiden von Anfang an gut und er willigt ein, bei ihm zu bleiben. Der Tempelherr erzählt dem Sultan von der jüdischen Erziehung der christlichen Recha. Als der Tempelherr daraufhin aufbrausend wird, möchte der Sultan gerne als Vermittler dienen und lässt nach Nathan schicken. Er und seine Schwester spekulieren über die Mutter des Tempelherrn und befinden außerdem, dass er kein Recht auf Recha hat.
Der Klosterbruder eröffnet Nathan, dass er es gewesen ist, der vor 18 Jahren Nathan das Christenkind übergeben hat. Sein Vater ist Wolf von Filnek gewesen, welcher das Kind nicht behalten hat können. Nathan berichtet, dass einige Tage vor der Übergabe des Kindes seine eigene Familie – seine Frau und seine sieben Söhne – von Christen getötet worden ist. Die Mutter von Recha ist laut dem Klosterbruder auch eine Stauffin gewesen, er lässt Nathan jedoch ein Buch mit allen Verwandtschaftsbeziehungen zukommen.

5.1.1.5 Fünfter Aufzug

Der Tempelherr erkennt, dass Nathan der wahre Vater von Recha ist, unabhängig von der Religion und dem leiblichen Vater, denn er hat sie zu dem gemacht, das sie heute ist und in diese Person hat sich der Tempelherr verliebt.
Indes weiß nun auch Recha, dass sie eigentlich eine Christin ist, denn Daja hat es ihr erzählt.
Nathan löst nun die ganzen verstrickten Geschehnisse auf:
Der Tempelherr ist Leu von Filnek und nicht Curd von Stauffen, denn dieser ist eigentlich der Onkel des Tempelherrn, der ihn großgezogen hat. Sein wahrer Vater ist Wolf von Filnek. Damit ist folgendes klar: der Tempelherr ist Rechas Bruder, denn Rechas wirklicher Name ist Blanda von Filnek. Daraufhin erkennt auch Saladin, dass der Vater von den beiden, also Wolf von Filnek, sein verschollener Bruder Assad gewesen ist.
Am Ende sind also verschiedene Glaubensrichtungen innerhalb einer großen Familie zu finden, welche trotz dieser kleinen Differenz vereint ist.

5.1.2 Interpretation

Abbildung 19: Gotthold Ephraim Lessing
Wir schreiben das Jahr 1779. Gotthold Ephraim Lessing veröffentlicht ein Werk, nämlich „Natan der Weise“. In seinen Schriften versucht der Autor den Leser zu erziehen und das Bürgertum nicht nur zu toleranteren Menschen zu Formen, sondern ihnen auch ein Auge für verschiedene Sichtweisen anzueignen, durch welche sie folglich zur Kritik fähig sein würden. Diese Erziehung der Menschen durch Lessing trägt auch einen Teil dazu bei, dass das Selbstbewusstsein des Bürgertums sie dazu befähigt, sich gegen den Adel aufzulehnen und zu verstehen, welche Tatsachen die Obrigkeit, die Gelehrten und vor allem die Kirche ihnen bisher entweder ganz verschwiegen oder falsch weitergegeben haben. Im Drama „Nathan der Weise“ steht die Toleranzidee im Mittelpunkt der Geschehnisse. Das Drama folgt einem klaren Aufbau: Einleitung, Spannungsaufbau/Vertiefung, Höhepunkt, retardierendes Moment und Katastrophe bzw. die Lösung.
Der Leser steht am Anfang direkt mitten in den Geschehnissen und erfährt auch sofort von den ungewöhnlichen Verhältnissen, die zu Hause herrschen: Ein jüdischer Geschäftsmann kehrt von einer Reise zurück nach Hause, wo eine christliche Erzieherin und die im jüdischen Glauben erzogene Tochter des Juden auf ihn warten. Dann erfährt man, dass ein christlicher Tempelherr, welcher von einem muslimischen Sultan begnadigt worden ist, die Tochter des Juden aus einem Feuer befreit hat, jedoch keinen Dank für diese Tat vernehmen möchte. Hier wird bereits klar, dass die Glaubensrichtungen eine zentrale Rolle spielen werden und durch die Verschiedenheit der miteinander verbundenen Hauptprotagonisten ein naher Konflikt unweigerlich bevorsteht.
Saladin und seine Schwester Sittah spielen im 2. Aufzug im ersten Auftritt gegeneinander Schach. Allein, dass eine Frau bei einem Männerspiel zugegen sein „darf“ und dass Saladin seine Schwester als eine ebenbürtige Gesprächskameradin anerkennt, zeigt, dass Lessing hier den Gleichheitsgedanken Mann und Frau betreffend eingebaut hat. Auch während der nachfolgenden Auftritte werden Frauen nie als unterwürfig oder dem Mann unterlegen dargestellt sondern eher als stark und eigenwillig.
Während des Gesprächs, gibt Saladin unter anderem zu bedenken, dass Sittah immer noch unverheiratet sei und sie ihn gerne mit dem „Bruder Richards“ verkuppeln wolle. Ihm schwebt das Bild eines starken Herrschergeschlechts vor, welches den Krieg und die Kreuzzüge beenden könne – nämlich ein moslemisch-christliches. Doch Sittah nimmt daraufhin eine feindselige Stellung gegenüber den Christen ein: Sie verurteilt sie allesamt als arrogant und gibt außerdem zu bedenken, dass der Stolz der Christen es vorsieht, dass sich Braut und Bräutigam vorher zum Christen taufen lassen müssen, sofern einer der beiden anderer Religion ist, was sie überhaupt nicht einsieht. Dass Saladin jedoch die Christen in Schutz nimmt und eher die fragwürdigen Interessen der Tempelherrn in Frage stellt, soll den Leser dazu auffordern selbst nachzudenken, was denn einen guten Menschen auszeichnet und ob dies wirklich von der Religion abhinge. Saladin nimmt jene kritische Haltung gegenüber Sittahs Vorurteile ein, die sich Lessing auch von der Bevölkerung erhofft.
Auch der Darwisch nimmt in der darauffolgenden Szene eine kritische Haltung gegenüber seinem jüdischen Freund Nathan ein und verteidigt ihn.
„Al-Hafi. Zur Not wird er Euch Waren borgen.
Geld aber, Geld? Geld nimmermehr.-Es ist
Ein Jude freilich übrigens, wie’s nicht
Viele Juden gibt. Er hat Verstand; er weiß
Zu leben; spielt gut Schach. Doch zeichnet er
Im Schlechten sich nicht minder, als im Guten
Von allen andern Juden aus.-Auf den,
Auf den nur rechnet nicht.-Den Armen gibt
Er zwar; und gibt vielleicht trotz Saladin.
Wenn schon nicht ganz so viel; doch ganz so gern;
Doch ganz so sonder Ansehn. Jud‘ und Christ
Und Muselmann und Parsi, alles ist
Ihm eins.“[5]
Hier zeigt sich erstmals die tolerante Haltung Nathans, die als Leitbild für alle Menschen gelten soll. Doch auch in der Szene, in der Nathan und der Tempelherr Freundschaft schließen, überzeugt ihn Nathan mit seiner Einstellung gegenüber anderen Glaubensrichtungen. Der Tempelherr jedoch ist vor der Unterredung mit Nathan voreingenommen gegenüber Juden und bereut fast schon, ein Judenmädchen gerettet zu haben. Außerdem nimmt er gegen Nathan eine feindselige Stellung ein.
„Nathan. […] womit
Kann man Euch dienen?
Tempelherr. Ihr? Mit nichts.
Nathan. Ich bin
Ein reicher Mann.
Tempelherr. Der reichre Jude war
Mir nie der beßre Jude.“[6]
Doch mit dieser oft zitierten Aussage überzeugt Nathan den Tempelherren.
„[…] Was heißt denn Volk?
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude
Als Mensch? […]“[7]
Lessing appelliert hier an alle Menschen, denn durch diese Aussage wird erst vielen klar, dass sie vielleicht mit ihrer Sichtweise nicht den Menschen erfassen, der in jedem steckt, sondern nur das von ihnen bereits gefertigte Bild, das alle Vorurteile gegen die jeweilige Glaubensrichtung miteinschließt.
Die Ringparabel gilt als Höhepunkt des Stückes, in dem Lessing den Großteil der zentralen Botschaft bereits eingearbeitet hat. In dem Gleichnis verkörpern die handelnden Personen die essentiellen Mitspieler in dem Schauspiel um Nathan. Der Vater verkörpert den gütigen Gott, der allen Menschen Liebe entgegenbringt. Die drei Ringe symbolisieren die drei monotheistischen Religionen, also den Islam, das Christentum und das Judentum, die drei Söhne stehen für die Gläubigen und der Richter steht meiner Meinung nach auch für Gott.
Der Richter steht d
eshalb auch für Gott, da Lessing schreibt:
„Nathan. […] Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
Als ich; und sprechen. […]“[8]
Gott wird beim Jüngsten Gericht über die Gläubigen richten und dort sehen, ob sie ein Leben geführt haben, wie er es von ihnen verlangt hat, nämlich eines in der „Sanftmut, herzliche Verträglichkeit, Wohltun und innigste Ergebenheit in Gott“ jeden Tag bewiesen und in den Taten der Menschen wiedergespiegelt werden. Durch diesen Schluss der Parabel, steht Gott am Anfang und am Ende. Jeder hat die Chance, zu beweisen, dass seine Religion die richtige ist. Und vor Gott ist jede die richtige, wenn man in ihrem Namen Gutes schafft.
Die Aussage der Ringparabel ist unumstritten jene, dass sich keine Religion die „wahre“ nennen kann oder sollte. Jeder Mensch ist liebevoll von den eigenen Eltern in der angestammten Glaubensrichtung erzogen worden und jede Familie lebt die damit einhergehenden Traditionen mehr oder weniger aus. Niemand vermag es, die eigene Religion zu verleugnen, genauso wenig wie die anderen Religionen. Die Menschen sollen die ihre Religion für die „wahre“ Religion für sich betrachten, denn niemand besitzt das Recht andere aufgrund ihres Glaubens zu verurteilen.
In der Schlussszene offenbart sich trotz der Verkettung scheinbar unglücklicher Zufälle – der christliche Tempelherr verliebt sich in die jüdische Tochter, welche eigentlich Christin ist, was wiederum Nathan als den Bösen dastehen lässt – eine Lösung, die eine zerbrochene und getrennte Familie vereint. Durch die komplizierten Verwandtschaftsbeziehungen aller Hauptprotagonisten erkennt man am Ende, dass in dieser Familie alle drei Religionen gelebt werden und es trotz dieser Tatsache für niemanden ein Problem darstellt, mit ihren Verwandten zu verkehren und sie vor allem als solche zu akzeptieren. Alle umarmen sich schlussendlich und verkörpern damit die Weltfamilie, welche auch von unterschiedlichen Glaubensbekenntnissen durchzogen ist. Lessing stellt damit das Idealbild des Zusammenlebens dar, ein Zusammenleben aller Menschen, in denen alle ohne Vorurteile miteinander umgehen und kommunizieren können, also eine Welt, in der jedes Menschenleben den gleichen Stellenwert einnimmt.
Die Hauptaussage dieses Werkes ist unverkennbar: alle Religionen haben den gleichen Stellenwert bzw. sollten es haben. Eine Familie oder Freundschaften beruhen nicht auf Gemeinsamkeiten im Glauben sondern auf Verständnis auf menschlicher und sozialer Ebene. Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen oder Kulturen und Ländern sollte in jedem Menschen ein fester Bestandteil sein. Außerdem bläut Lessing dem Leser einen gewissen Sinn für Kritik ein, indem er ihm immer wieder vor Augen hält, welchen Unterschied eine andere Sichtweise denn machen kann.
In der Zeit des Nationalsozialismus ist dieses Werk verboten worden, wegen den falschen Informationen die Juden betreffend und weil es sie als gleichgesinnte und gleichberechtigte darstellt.
Heute werden die Menschen vor allem von Vorurteilen gegenüber dem Islam überschüttet. Seit dem 11. September 2001 sind nämlich grundsätzlich alle Islamisten Terroristen. In einer modernen Zeit, in der sich alle Menschen Informationen aus allen möglichen Quellen beschaffen können, empfinde ich es als eine noch größere Schande für die Menschen, die aufgrund dieser mediengelenkten Vorurteile, Personen mit islamischen Glauben als potenzielle Gefahr einstufen und sie sogar meiden. Offenbar haben wir leider noch nicht begriffen was „friedliches“ Zusammenleben und Toleranz bedeutet.


[1] Nathan der Weise, G.E. Lessing, Digitale Ausgabe, Erster Aufzug, Erster Auftritt, Position 61
[2] Nathan der Weise, G.E. Lessing, Digitale Ausgabe, Erster Aufzug, Sechster Auftritt, Position 380 - 389
[3] Nathan der Weise, G.E. Lessing, Digitale Ausgabe, Zweiter Aufzug, Fünfter Auftritt, Position 658 - 662
[4] Nathan der Weise, G.E. Lessing, Digitale Ausgabe, Dritter Aufzug, Erster Auftritt, Position 783
[5] Nathan der Weise, G.E. Lessing, Digitale Ausgabe, Zweiter Aufzug, Zweiter Auftritt, Position 541 - 545
[6] Nathan der Weise, G.E. Lessing, Digitale Ausgabe,  Zweiter Aufzug, Fünfter Auftritt, Position 623
[7] Nathan der Weise, G.E. Lessing, Digitale Ausgabe, Zweiter Aufzug, Fünfter Auftritt, Position 660
[8] Nathan der Weise, G.E. Lessing, Digitale Ausgabe, Zweiter Aufzug, Fünfter Auftritt, Position 1018 -1023

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