Gotthold Ephraim Lessing
veröffentlicht dieses Werk 1779.
5.1.1.1 Erster Aufzug
Die Geschichte spielt in Jerusalem
zur Zeit des Waffenstillstandes nach dem 3. Kreuzzug. Das Drama beginnt damit,
dass der reiche jüdische Nathan von einer Reise nach Hause zurückkehrt, wo er
erfährt, dass in seinem Haus ein Brand gewütet hat, dem seinen Pflegetochter
nur knapp entkommen konnte und das auch nur wegen der Hilfe eines christlichen
Tempelherren. Dieser Tempelherr ist ursprünglich gefangen genommen, doch kurz
vor der Vollstreckung von Sultan Saladin befreit worden, da er seinem Bruder
Assad, der seit langer Zeit als verschollen gilt, so ähnlich sähe. Daja hat
bereits versucht, sich redlich bei ihm zu bedanken, doch er hat sie bisher
immer kalt abgewiesen.
Nathan erfährt von dem Derwisch
Al-Hafi über die prekäre finanzielle Lage des Sultans.
Al-Hafi kann sich Schatzmeister des Sultans nennen und bittet seinen
Schlachtfreund Nathan um Geld, welcher die Bitte jedoch ablehnt.
Der Tempelherr gilt seit längerem als
verschwunden, obwohl er des Öfteren „unter
Palmen auf und nieder“
wandle. Als er wieder gesehen ward, schickt Nathan Daja zu ihm, um ihm seinen
tief empfundenen Dank auszusprechen.
Auf den Tempelherrn tritt indes ein
Klosterbruder zu, der vom Patriarch geschickt worden ist um den Tempelherrn um
zwei Dinge zu bitten: Er solle einen Brief an König Phillip überbringen, der
wichtige Kriegsinformationen beinhalte und als er diesen Gefallen ausschlägt,
ein Attentat auf den Sultan Saladin ausüben. Der Tempelherr lehnt diese Bitten
jedoch ab, er ist sich seiner Schuld dem Sultan gegenüber durchaus klar, denn
nur dank seiner Handlung lebt er noch.
Als Daja ihm nach der Begegnung mit
dem Klosterbruder anspricht und ihn in das Haus des Juden einladen möchte,
rechtfertigt er seine Ablehnung mit seiner Ablehnung gegenüber Juden und damit,
dass er es zwar nicht bereue, das Mädchen gerettet zu haben, wohl aber das
nächste Mal vorher nachfragen werde, wer denn in dem Haus verbrenne, bevor er
wieder einen Juden rette.
„Tempelherr. Ja, ja, verfolgen.
Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn!
Nicht hören! Will von Euch an meine Tat
Nicht fort und fort erinnert sein, bei der
Ich nichts gedacht; die,, wenn ich drüber denke,
Zum Rätsel von mir selbst mir wird. Zwar möcht‘
Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht;
Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr
Seid Schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn
Ich vorher erkund – und brennen lassen
was brennt.
Daja. Bewahre Gott!
Tempelherr. Von heut an tut
Mir den Gefallen wenigstens, und kennt
Mich weiter nicht. Ich bitt Euch drum. Auch laßt
Den Vater mir von Halse. Jud‘ ist Jude.
Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild
Ist längst aus meiner Seele; wenn es je
Da war.“
Saladin und seine Schwester
Sittah spielen Schach, beenden die Partie jedoch, da Saladin einen zerstreuten
Eindruck macht. Seine Gedanken drehen sich um die Christen, die den
Waffenstillstand nicht verlängert haben und somit einem weiteren Kreuzzug
nichts mehr im Wege steht. Saladin beteuert sein Bedauern um den anhaltenden
Krieg, denn er hat gehofft, dass die Christen ebenso wie er dazu gewollt sind,
die Waffenruhe weiter fort zu führen.
Saladin lässt nach seinem
Schatzmeister rufen, um ihn nach weiteren Geldgebern zu fragen. Sittah schlägt
vor, Al-Hafis reichen Freund Nathan um eine Leihgabe zu fragen. Al-Hafi möchte
seine erfolglosen Bitten jedoch vor seinem Herrn verheimlichen und weicht den
Fragen des Sultans immer wieder aus, bis er schließlich verschwindet.
Nach dem komischen Verhalten des
Derwischs, grübeln Sittah und Saladin darüber nach, was ihn zu diesem
Herumdrucksen verleitet haben könnte. Sittah betont, dass ihr der Derwisch
erzählt habe, dass Nathan ein edler und weiser Mann sei, der zudem noch frei
von Vorurteilen und mit einem offenen Herzen ausgestattet sei. Während des
Gesprächs reift in Sittahs Kopf ein Plan heran, wie sie ohne Gewalt an das Geld
gelangen können.
Daja berichtet Nathan, dass der
Tempelherr bald um die Ecke käme, woraufhin sie sich mit Recha im Haus
„versteckt“. Nathan fängt ihn ab und spricht zu ihm. Der Tempelherr wehrt
sofort weitere Dankestiraden des Juden ab und erklärt, dass es seine Pflicht
als Tempelherr gewesen ist, das Mädchen aus dem Feuer zu retten. Im folgenden
Dialog findet der Tempelherr Zusehens mehr Gefallen an der toleranten
Sichtweise von Nathan, welcher seine Überzeugung vertritt, dass jeder Mensch
gleich sei mit dem einzigen Unterschied der „Farb‘“ der Kleidung und der Gestalt.
Der Tempelherr spricht ihn darauf an, dass es die Juden gewesen sind, die als
allererste Religion ihre als die einzig wahre angepriesen haben. Dieser Stolz
habe sich dann auf den Christ und auf den Muselmann vererbt. Nathan bittet um
Freundschaft, als der Tempelherr ihn verlassen möchte, und argumentiert wie
folgt:
„Nathan. Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester
ich nun mich an Euch drängen werden.
-Kommt,
Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet
Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind
Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,
Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch
Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch
Zu heißen!“
Die beiden Männer schließen nach
ihrer Unterredung Freundschaft. Beide sind positiv überrascht über die
Einstellung des Anderen und zeigen sich froh, jemanden gefunden zu haben, der
dieselben Sichtweisen vertritt und eine kritische Haltung einnimmt, ohne alle
Vorurteile als wahr hinzunehmen.
Kurz nach der Schließung der
Freundschaft erzählt Daja Nathan, dass der Sultan ihn sehen wolle. Der
Tempelherr und Nathan unterhalten sich noch kurz über den Sultan und verabreden
sich für den gleichen Tag noch. Als Nathan ihn nach seinem Namen fragt,
erwidert er, er heiße Curd von Stauffen. Nathan kommt der Name Stauffen sehr
bekannt vor, wimmelt den Gedanken jedoch ab und verfolgt ihn erst weiter als
der Tempelherr ihn verlassen hat. Nun erfährt der Leser, dass ein Freund von
Nathan – Wolf – ihm sehr ähnlich ist.
Nathan erzählt Daja, dass sie
bald den Tempelherrn zu erwarten habe. Nach dem kurzen Gespräch erreicht der
Derwisch Al-Hafi das Haus von Nathan. Dieser erfährt erst von Nathan, dass der
Sultan nach ihm schickt und versucht ihn vor seinem Gemüt zu warnen. Am Ende
des Gesprächs unterrichtet Al-Hafi Nathan davon, dass er von nun an nicht mehr
am Hofe des Sultans arbeite und Jerusalem für immer verlasse.
Daja spricht mit Recha über ihre
Zukunft und offenbart ihr, dass ihr am liebsten wäre, wenn sie nach Europa
ginge, „zu dem Volk, für welches sie
geboren wurde“.
Daja und Reche haben offensichtlich schon öfter darüber diskutiert, Recha
kann sich die Beweggründe von Daja dafür jedoch nicht vor Augen führen.
Als der Tempelherr bei ihnen zu
Hause erscheint, empfinden beide bald eine innige Zuneigung füreinander. Der
Tempelherr verabschiedet sich jedoch um Nathan aufzusuchen.
Daja und Recha wundern sich über
das plötzliche Verschwinden des Tempelherrn und erklären es sich mit den
plötzlich aufwallenden Gefühlen, denen er sich nicht imstande sah zu erwehren.
Bei dem Treffen des Sultans und
von Nathan, fragt Saladin ihn die Frage aller Fragen: Die Frage nach der einzig
wahren Religion – Christentum, Judentum oder Islam.
Nathan denkt eine Weile darüber
nach und erklärt sich mit der berühmten Ringparabel.
Ein Ring, mit der Macht vor Gott
und Mensch beliebt zu erscheinen, wird von Generation zu Generation an den
liebsten Sohn dieser einen Familie weitergegeben und kennzeichnet das Oberhaupt
der Familie. Als der Vater sich nicht zwischen seinen drei Söhnen entscheiden
kann, lässt er zwei Kopien anfertigen, welche sich in keinster Weise vom
Original unterscheiden. Jeder der drei Söhne erhält einen Ring und beginnen zu
streiten, wer denn nun das Oberhaupt der Familie sei. Allerdings kann man den
richtigen Ring nicht nachweisen, ebenso wenig wie den richtigen Glauben.
Alle Religionen gründen sich auf
eine überlieferte Geschichte und diese Geschichten müssten von jedem einzelnen
erst angenommen werden. Jede Geschichte und jeder Glaube wird von den eigenen
Eltern übermittelt und so in das alltägliche Leben integriert. So steht es
niemandem zu, die eigenen Vorfahren Lügner zu strafen, nur um den Vorfahren
anderer nicht zu widersprechen, denn niemand bezweifelt das, was man von klein
auf liebevoll erlernt hat.
Als die drei Söhne vor einen
Richter treten, der entscheiden solle, wer denn nun den richtigen Ring trüge,
weist dieser ein Urteil ab. Er kommt zu dem Schluss, dass der richtige Ring
wohl verloren gegangen sei, da bei allen die Fähigkeit beliebt zu machen nur
für sich selbst wirkt. Jeder der drei solle jedoch die Wahrhaftigkeit des
Ringes beweisen, in dem sie ihren Sanftmut, ihre Verträglichkeit, ihr Wohltun
und ihre innigste Ergebenheit in Gott beweisen sollen. Laut dem Richter wird
sich der richtige Ring erst nach vielen Jahren zeigen. Saladin gesteht, dass
der Richter recht gehabt hat und dass diesen bereits vergangenen Jahren noch
viele weitere folgen werden.
Nathan gibt ihn als Dank für die
Begnadigung des Tempelherrn Geld, um ihn aus seiner schwierigen finanziellen
Lage zu befreien. Saladin lässt nach dem Tempelherrn rufen – das Ebenbild Assad
soll sich auch seiner Schwester Sittah zeigen und er soll außerdem das Geld
überbringen.
Der Tempelherr ringt mit sich –
er spürt die Liebe zu Recha, kann sich aber mit dem Gedanken, dass er als
Christ sich mit einer Jüdin vereinen soll, nicht sofort anfreunden. Er erkennt
jedoch, dass die vorurteilslose Ansicht der Ereignisse eine bessere sei, die
dem himmlischen Willen entspricht.
Nathan erkundigt sich
ausweichend nach dem Namen des Vaters des Tempelherrn, als dieser ihn um die
Hand von Recha bittet. Er lautet Conrad von Stauffen.
Der Tempelherr eröffnet Daja
gegenüber seine Liebe zu Recha, welche ihm daraufhin gesteht, dass Recha
eigentlich keine Jüdin sei, sondern eine Christin und von Nathan nur
aufgenommen worden sei. Der Tempelherr zeigt sich erbost darüber, dass es sich
ein Jude anmaßt, eine Christin als Jüdin zu erziehen.
Der Tempelherr sucht nach dieser
schockierenden Nachricht den Rat des Patriarchen. Er erzählt ihm die Geschichte
und der Patriarch bekennt den Juden sofort für schuldig und würde ihn für diese
Lastertat hinrichten lassen.
Als er bei Saladin eintrifft,
verstehen sich die beiden von Anfang an gut und er willigt ein, bei ihm zu
bleiben. Der Tempelherr erzählt dem Sultan von der jüdischen Erziehung der
christlichen Recha. Als der Tempelherr daraufhin aufbrausend wird, möchte der
Sultan gerne als Vermittler dienen und lässt nach Nathan schicken. Er und seine
Schwester spekulieren über die Mutter des Tempelherrn und befinden außerdem,
dass er kein Recht auf Recha hat.
Der Klosterbruder eröffnet
Nathan, dass er es gewesen ist, der vor 18 Jahren Nathan das Christenkind
übergeben hat. Sein Vater ist Wolf von Filnek gewesen, welcher das Kind nicht
behalten hat können. Nathan berichtet, dass einige Tage vor der Übergabe des
Kindes seine eigene Familie – seine Frau und seine sieben Söhne – von Christen
getötet worden ist. Die Mutter von Recha ist laut dem Klosterbruder auch eine
Stauffin gewesen, er lässt Nathan jedoch ein Buch mit allen
Verwandtschaftsbeziehungen zukommen.
Der Tempelherr erkennt, dass
Nathan der wahre Vater von Recha ist, unabhängig von der Religion und dem
leiblichen Vater, denn er hat sie zu dem gemacht, das sie heute ist und in
diese Person hat sich der Tempelherr verliebt.
Indes weiß nun auch Recha, dass
sie eigentlich eine Christin ist, denn Daja hat es ihr erzählt.
Nathan löst nun die ganzen
verstrickten Geschehnisse auf:
Der Tempelherr ist Leu von
Filnek und nicht Curd von Stauffen, denn dieser ist eigentlich der Onkel des
Tempelherrn, der ihn großgezogen hat. Sein wahrer Vater ist Wolf von Filnek.
Damit ist folgendes klar: der Tempelherr ist Rechas Bruder, denn Rechas
wirklicher Name ist Blanda von Filnek. Daraufhin erkennt auch Saladin, dass der
Vater von den beiden, also Wolf von Filnek, sein verschollener Bruder Assad
gewesen ist.
Am Ende sind also verschiedene
Glaubensrichtungen innerhalb einer großen Familie zu finden, welche trotz
dieser kleinen Differenz vereint ist.
Wir schreiben das
Jahr 1779. Gotthold Ephraim Lessing veröffentlicht ein Werk, nämlich „Natan der
Weise“. In seinen Schriften versucht der Autor den Leser zu erziehen und das
Bürgertum nicht nur zu toleranteren Menschen zu Formen, sondern ihnen auch ein
Auge für verschiedene Sichtweisen anzueignen, durch welche sie folglich zur
Kritik fähig sein würden. Diese Erziehung der Menschen durch Lessing trägt auch
einen Teil dazu bei, dass das Selbstbewusstsein des Bürgertums sie dazu
befähigt, sich gegen den Adel aufzulehnen und zu verstehen, welche Tatsachen
die Obrigkeit, die Gelehrten und vor allem die Kirche ihnen bisher entweder
ganz verschwiegen oder falsch weitergegeben haben. Im Drama „Nathan der Weise“
steht die Toleranzidee im Mittelpunkt der Geschehnisse. Das Drama folgt einem
klaren Aufbau: Einleitung, Spannungsaufbau/Vertiefung, Höhepunkt,
retardierendes Moment und Katastrophe bzw. die Lösung.
Der Leser steht am Anfang direkt
mitten in den Geschehnissen und erfährt auch
sofort von den ungewöhnlichen Verhältnissen, die zu Hause herrschen: Ein
jüdischer Geschäftsmann kehrt von einer Reise zurück nach Hause, wo eine
christliche Erzieherin und die im jüdischen Glauben erzogene Tochter des Juden
auf ihn warten. Dann erfährt man, dass ein christlicher
Tempelherr, welcher von einem muslimischen Sultan begnadigt worden ist, die
Tochter des Juden aus einem Feuer befreit hat, jedoch keinen Dank für diese Tat
vernehmen möchte. Hier wird bereits klar, dass die Glaubensrichtungen eine
zentrale Rolle spielen werden und durch die Verschiedenheit der miteinander
verbundenen Hauptprotagonisten ein naher Konflikt unweigerlich bevorsteht.
Saladin und seine Schwester Sittah
spielen im 2. Aufzug im ersten Auftritt gegeneinander Schach. Allein, dass eine
Frau bei einem Männerspiel zugegen sein „darf“ und dass Saladin seine Schwester
als eine ebenbürtige Gesprächskameradin anerkennt, zeigt, dass Lessing hier den
Gleichheitsgedanken Mann und Frau betreffend eingebaut hat. Auch während der
nachfolgenden Auftritte werden Frauen nie als unterwürfig oder dem Mann
unterlegen dargestellt sondern eher als stark und eigenwillig.
Während des Gesprächs, gibt Saladin
unter anderem zu bedenken, dass Sittah immer noch unverheiratet sei und sie ihn
gerne mit dem „Bruder Richards“ verkuppeln wolle. Ihm schwebt das Bild eines
starken Herrschergeschlechts vor, welches den Krieg und die Kreuzzüge beenden
könne – nämlich ein moslemisch-christliches. Doch Sittah nimmt daraufhin eine
feindselige Stellung gegenüber den Christen ein: Sie verurteilt sie allesamt
als arrogant und gibt außerdem zu bedenken, dass der Stolz der Christen es
vorsieht, dass sich Braut und Bräutigam vorher zum Christen taufen lassen
müssen, sofern einer der beiden anderer Religion ist, was sie überhaupt nicht
einsieht. Dass Saladin jedoch die Christen in Schutz nimmt und eher die
fragwürdigen Interessen der Tempelherrn in Frage stellt, soll den Leser dazu
auffordern selbst nachzudenken, was denn einen guten Menschen auszeichnet und
ob dies wirklich von der Religion abhinge. Saladin nimmt jene kritische Haltung
gegenüber Sittahs Vorurteile ein, die sich Lessing auch von der Bevölkerung
erhofft.
Auch der Darwisch nimmt in der
darauffolgenden Szene eine kritische Haltung gegenüber seinem jüdischen Freund
Nathan ein und verteidigt ihn.
„Al-Hafi. Zur Not wird er Euch Waren
borgen.
Geld aber, Geld? Geld nimmermehr.-Es ist
Ein Jude freilich übrigens, wie’s nicht
Viele Juden gibt. Er hat Verstand; er weiß
Zu leben; spielt gut Schach. Doch zeichnet er
Im Schlechten sich nicht minder, als im Guten
Von allen andern Juden aus.-Auf den,
Auf den nur rechnet nicht.-Den Armen gibt
Er zwar; und gibt vielleicht trotz Saladin.
Wenn schon nicht ganz so viel; doch ganz so gern;
Doch ganz so sonder Ansehn. Jud‘ und Christ
Und Muselmann und Parsi, alles ist
Ihm eins.“
Hier zeigt sich erstmals die
tolerante Haltung Nathans, die als Leitbild für alle Menschen gelten soll. Doch
auch in der Szene, in der Nathan und der Tempelherr Freundschaft schließen,
überzeugt ihn Nathan mit seiner Einstellung gegenüber anderen
Glaubensrichtungen. Der Tempelherr jedoch ist vor der Unterredung mit Nathan
voreingenommen gegenüber Juden und bereut fast schon, ein Judenmädchen gerettet
zu haben. Außerdem nimmt er gegen Nathan eine feindselige Stellung ein.
„Nathan. […] womit
Kann man Euch dienen?
Tempelherr. Ihr? Mit nichts.
Nathan. Ich bin
Ein reicher Mann.
Tempelherr. Der reichre Jude war
Mir nie der beßre Jude.“
Doch mit dieser oft zitierten
Aussage überzeugt Nathan den Tempelherren.
„[…] Was heißt denn Volk?
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude
Als Mensch? […]“
Lessing appelliert hier an alle
Menschen, denn durch diese Aussage wird erst vielen klar, dass sie vielleicht
mit ihrer Sichtweise nicht den Menschen erfassen, der in jedem steckt, sondern
nur das von ihnen bereits gefertigte Bild, das alle Vorurteile gegen die
jeweilige Glaubensrichtung miteinschließt.
Die Ringparabel gilt als Höhepunkt
des Stückes, in dem Lessing den Großteil der zentralen Botschaft bereits
eingearbeitet hat. In dem Gleichnis verkörpern die handelnden Personen die
essentiellen Mitspieler in dem Schauspiel um Nathan. Der Vater verkörpert den
gütigen Gott, der allen Menschen Liebe entgegenbringt. Die drei Ringe
symbolisieren die drei monotheistischen Religionen, also den Islam, das
Christentum und das Judentum, die drei Söhne stehen für die Gläubigen und der
Richter steht meiner Meinung nach auch für Gott.
Der Richter steht d
eshalb auch für Gott, da Lessing
schreibt:
„Nathan. […] Und wenn sich dann der
Steine Kräfte
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
Als ich; und sprechen. […]“
Gott wird beim Jüngsten Gericht über
die Gläubigen richten und dort sehen, ob sie ein Leben geführt haben, wie er es
von ihnen verlangt hat, nämlich eines in der „Sanftmut, herzliche
Verträglichkeit, Wohltun und innigste Ergebenheit in Gott“ jeden Tag bewiesen
und in den Taten der Menschen wiedergespiegelt werden. Durch diesen Schluss der
Parabel, steht Gott am Anfang und am Ende. Jeder hat die Chance, zu beweisen,
dass seine Religion die richtige ist. Und vor Gott ist jede die richtige, wenn
man in ihrem Namen Gutes schafft.
Die
Aussage der Ringparabel ist unumstritten jene, dass sich keine Religion die
„wahre“ nennen kann oder sollte. Jeder Mensch ist liebevoll von den eigenen
Eltern in der angestammten Glaubensrichtung erzogen worden und jede Familie
lebt die damit einhergehenden Traditionen mehr oder weniger aus. Niemand vermag
es, die eigene Religion zu verleugnen, genauso wenig wie die anderen
Religionen. Die Menschen sollen die ihre Religion für die „wahre“ Religion für
sich betrachten, denn niemand besitzt das Recht andere aufgrund ihres Glaubens
zu verurteilen.
In der Schlussszene offenbart sich
trotz der Verkettung scheinbar unglücklicher Zufälle – der christliche
Tempelherr verliebt sich in die jüdische Tochter, welche eigentlich Christin
ist, was wiederum Nathan als den Bösen dastehen lässt – eine Lösung, die eine
zerbrochene und getrennte Familie vereint. Durch die komplizierten
Verwandtschaftsbeziehungen aller Hauptprotagonisten erkennt man am Ende, dass
in dieser Familie alle drei Religionen gelebt werden und es trotz dieser
Tatsache für niemanden ein Problem darstellt, mit ihren Verwandten zu verkehren
und sie vor allem als solche zu akzeptieren. Alle umarmen sich schlussendlich
und verkörpern damit die Weltfamilie, welche auch von unterschiedlichen
Glaubensbekenntnissen durchzogen ist. Lessing stellt damit das Idealbild des Zusammenlebens
dar, ein Zusammenleben aller Menschen, in denen alle ohne Vorurteile
miteinander umgehen und kommunizieren können, also eine Welt, in der jedes
Menschenleben den gleichen Stellenwert einnimmt.
Die Hauptaussage dieses Werkes ist unverkennbar: alle
Religionen haben den gleichen Stellenwert bzw. sollten es haben. Eine Familie
oder Freundschaften beruhen nicht auf Gemeinsamkeiten im Glauben sondern auf
Verständnis auf menschlicher und sozialer Ebene. Toleranz gegenüber anderen
Glaubensrichtungen oder Kulturen und Ländern sollte in jedem Menschen ein
fester Bestandteil sein. Außerdem bläut Lessing dem Leser einen gewissen Sinn
für Kritik ein, indem er ihm immer wieder vor Augen hält, welchen Unterschied
eine andere Sichtweise denn machen kann.
In der Zeit des Nationalsozialismus ist dieses Werk verboten
worden, wegen den falschen Informationen die Juden betreffend und weil es sie
als gleichgesinnte und gleichberechtigte darstellt.
Heute werden die Menschen vor allem von Vorurteilen gegenüber
dem Islam überschüttet. Seit dem 11. September 2001 sind nämlich grundsätzlich
alle Islamisten Terroristen. In einer modernen Zeit, in der sich alle Menschen
Informationen aus allen möglichen Quellen beschaffen können, empfinde ich es
als eine noch größere Schande für die Menschen, die aufgrund dieser
mediengelenkten Vorurteile, Personen mit islamischen Glauben als potenzielle
Gefahr einstufen und sie sogar meiden. Offenbar haben wir leider noch nicht
begriffen was „friedliches“ Zusammenleben und Toleranz bedeutet.