Donnerstag, 19. September 2013

Kulturportfolio - 4 Die Frau in der Literatur des 19. Jahrhunderts



4 Die Frau in der Literatur des 19. Jahrhunderts

Die beiden Werke „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ von Gottfried Keller und „Immensee“ von Theodor Storm erscheinen in der literarischen Epoche des Realismus. Diese Zeitspanne erstreckt sich von 1848 bis 1890 und erscheint in der Geschichte auch oft unter den Namen „bürgerlicher Realismus“ oder „poetischer Realismus“. Die Merkmale der literarischen Werke lassen sich kurz zusammenfassen: Die Handlung der Erzählungen oder Dramen geschieht nicht mehr im Rahmen eines Märchens oder erfundener Scheinwelten, sondern spielen in realen Umgebungen, mit realen Geschehnissen und Figuren. Der Erzähler selbst bleibt im Verborgenen und soll vom Publikum auch nicht erkannt werden. Die Industrialisierung und die damit zusammenhängende Arbeiterbewegung rücken in vielen Werken in den Mittelpunkt der Ereignisse. Einige Autoren nehmen sich im Laufe der Zeit auch der Rolle der Frau der damaligen Zeit an. 
Im Gegensatz zu heute sind die Frauen in der Zeit des Realismus immer noch von der Bildung ausgenommen. Ab der Geburt werden sie von ihrem Vater unterdrückt, wenn sie das heiratsfähige Alter erreichen, übernimmt der Ehemann die Vaterrolle. So erklärt zum Beispiel am Anfang des Buches „Immensee“ der 10-jährige Reinhard der 5-jährigen Elisabeth, dass wenn sie einmal verheiratet sind, nur mehr er über sie bestimmen darf. Bei der Wahl des Ehemannes spielt nicht die Liebe die größte Rolle, sondern der Ruf den der Zukünftige genießt, die Ländereien und Anwesen die er besitzt und das Vermögen, das er in die Ehe einbringen kann. Im Werk „Immensee“ wählt die Mutter Elisabeths den zukünftigen ihrer Tochter ebenfalls nach diesen Kriterien aus. Erich, Besitzer von Gut Immensee, scheint neben dem Studierten Reinhard, der seit Jahren im Ausland lebt, ehrbarer. Die Mutter Elisabeths betont bereits nach der ersten Rückkehr in das Vaterdorf von Reinhard und Elisabeth, dass er „nicht mehr so gut sei, wie er früher gewesen“[1]. Als Reinhard während seinem Aufenthalt auf Gut Immensee das Volkslied „Meine Mutter hat’s gewollt“ anstimmt, kann man an der Reaktion von Elisabeth erkennen – sie verlässt fluchtartig den Raum –, dass es nicht Elisabeth gewesen ist, die die Entscheidung gefällt hat, Erich das Jawort zu geben, sondern ihre Mutter.
Im Gegensatz zu dieser erzwungenen Ehe sucht sich Vrenchen in „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ selbst ihren Ehemann aus. Sie liebt Sali seit ihrer Kindheit und flüchtet sogar mit ihm, um mit ihm für immer zusammen sein zu können. Da aber Sali für den Verlust des Verstandes von Marti verantwortlich ist, könnte die Ehe niemals mit dem Gewissen von Vrenchen vereinbart werden. So entscheiden sie sich zu der verzweifelten Tat, sich selbst umzubringen, um vor den Problemen der realen Welt zu flüchten und für immer vereint zu sein.
Der Vater von Vrenchen erscheint häufiger in der Rolle des Erziehers als die Mutter. Vrenchen zollt ihrem Vater zwar den notwendigen Respekt und liebt ihn auch von ganzem Herzen, aber ihm scheint nicht besonders viel an seiner Tochter zu liegen. Er misshandelt sie, sobald sie sich nicht seinen Anforderungen und Erwartungen entsprechend benimmt und weist sie so in ihre Schranken. So schlägt er sie zum Beispiel, als sie mit ihrem damaligen besten Freund Sali am Acker ein kleines Fest feiert:
„[…] und er gab ihr, ohne zu wissen warum, einige Ohrfeigen, […] denn die Rauheit der Väter, an sich ziemlich neu, war von den arglosen Geschöpfen noch nicht begriffen und konnte sie nicht tiefer bewegen.“[2]
Die nächste Szene, in der Marti seine Tochter misshandelt, zeigt gleichzeitig, wie sehr er die Familie Manz hasst aber auch, dass der verliebte Sali bereits einen Beschützerinstinkt für Vrenchen ausgebildet hat. Marti erwischt seine Tochter beim Herumtreiben mit dem Sohn von Manz:
„…dass der Alte nun statt seiner nun das zitternde Mädchen fasste, ihm Ohrfeigen gab, dass der rote Kranz herunterflog, und seine Haare um die Hand wickelte, um es mit sich fortzureißen und weiter zu misshandeln. Ohne sich zu besinnen, raffte er einen Stein auf und schlug mit demselben den Alten gegen den Kopf, halb in Angst um Vrenchen und halb im Jähzorn.“[3]
Bereits im Alter von 8 muss sich Vrenchen der typischen Rolle der „Dame“ unterordnen:
„…und das braune Vrenchen, obgleich es ein feuriges Dirnchen war, musste bereits unter der Obhut seines Geschlechts gehen, sonst wäre es von den andern als ein Bubenmädchen ausgelacht worden.“[4]
Obwohl das junge Mädchen es nicht leicht hat, kümmert sie sich rührend um ihren Vater bis zum bitteren Ende. Als Marti in eine „Stifung für dergleichen arme Tröpfe“ eingewiesen wird. Sie vernachlässigt sogar ihre eigene Gesundheit und richtet sich fast zu Grunde, nur um für ihren Vater da sein zu können. Vrenchen muss bereits in ihrer Jugend selbstständig werden und lernt so auch Stärke zu zeigen:
„Darum war das schöne wohlgemute junge Blut in jeder Weise gedemütigt und gehemmt und konnte am wenigsten der Hoffart anheim fallen. Überdies hatte es bei schon erwachenden Verstande das Leiden und den Tod der Mutter gesehen, und dies Andenken war ein weiterer Zügel, der seinem lustigen und feurigen Wesen angelegt war, sodass es nun höchst lieblich, unbedenklich und rührend sich ansah, wenn trotz alledem das gute Kind bei jedem Sonnenblick sich ermunterte und zum Lächeln bereit war.“[5]
In „Immensee“ lenkt der Autor die Aufmerksamkeit der Leser vor allem auf den männlichen Hauptcharakter. So erfährt man zum Beispiel nie, was Elisabeth während der Zeit erlebt, als sich Reinhard seine Heimatstadt verlässt „um seine Ausbildung fortzuführen“. Später erfährt man, dass Reinhard auf einer Universität studiert. Es scheint fast so, als ob Elisabeth diese Bildung vorenthalten bleibt. Sie geht zwar mit Reinhard zusammen in die Grundschule, aber Elisabeth scheint zu Hause Handwerkstätigkeiten auszuführen, denn sie schickt ihm als Geschenk Manschetten, Tücher und gestrickte Wäsche.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Frauen in dieser Zeitepoche alles andere als frei und unabhängig gefühlt haben. Sie werden in jedem Lebensabschnitt von Männern unterdrückt, ihre Rechte begrenzen sich auf ein Minimum und ihre Bedürfnisse ordnen sich ganz hinten ein.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung aufgrund der Industrialisierung, erheben sich zeitgleich mehrere Frauenbewegungen, die der Unterdrückung der Frau Einhalt gebieten wollen. Die Emanzipation schreibt hier ihren Beginn. Heute kann man auf beachtliche Ergebnisse dieser Bewegungen blicken, doch es gibt natürlich immer noch viel Raum für Verbesserungen. Wenn man heute mit damals vergleicht, fühlt man sich als Frau des 21. Jahrhunderts besonders frei und man erkennt erst anhand eines solchen Vergleiches, welche Möglichkeiten jedem von uns offen stehen.



[1] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6007 Theodor Storm Immensee und andere Novellen; S. 20, Zeile 28
[2] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172 Gottfried Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe, S. 15, 2-8
[3] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172 Gottfried Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe, S. 42/43, 38-5
[4] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172, Gottfried Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe S. 11, 24-30
[5] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172, Gottfried Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe S. 19, 10-19

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