4 Die Frau in der Literatur des 19. Jahrhunderts
Die beiden
Werke „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ von Gottfried Keller und „Immensee“ von
Theodor Storm erscheinen in der literarischen Epoche des Realismus. Diese
Zeitspanne erstreckt sich von 1848 bis 1890 und erscheint in der Geschichte auch oft unter
den Namen „bürgerlicher Realismus“ oder „poetischer Realismus“. Die Merkmale
der literarischen Werke lassen sich kurz zusammenfassen: Die Handlung der
Erzählungen oder Dramen geschieht nicht mehr im Rahmen eines Märchens oder
erfundener Scheinwelten, sondern spielen in realen Umgebungen, mit realen
Geschehnissen und Figuren. Der Erzähler selbst bleibt im Verborgenen und soll
vom Publikum auch nicht erkannt werden. Die Industrialisierung und die damit
zusammenhängende Arbeiterbewegung rücken in vielen Werken in den Mittelpunkt
der Ereignisse. Einige Autoren nehmen sich im Laufe der Zeit auch der Rolle der
Frau der damaligen Zeit an.
Im Gegensatz zu heute sind die Frauen
in der Zeit des Realismus immer noch von der Bildung ausgenommen. Ab der Geburt
werden sie von ihrem Vater unterdrückt, wenn sie das heiratsfähige Alter
erreichen, übernimmt der Ehemann die Vaterrolle. So erklärt zum Beispiel am
Anfang des Buches „Immensee“ der 10-jährige Reinhard der 5-jährigen Elisabeth,
dass wenn sie einmal verheiratet sind, nur mehr er über sie bestimmen darf. Bei
der Wahl des Ehemannes spielt nicht die Liebe die größte Rolle, sondern der Ruf
den der Zukünftige genießt, die Ländereien und Anwesen die er besitzt und das
Vermögen, das er in die Ehe einbringen kann. Im Werk „Immensee“ wählt die
Mutter Elisabeths den zukünftigen ihrer Tochter ebenfalls nach diesen Kriterien
aus. Erich, Besitzer von Gut Immensee, scheint neben dem Studierten Reinhard,
der seit Jahren im Ausland lebt, ehrbarer. Die Mutter Elisabeths betont bereits
nach der ersten Rückkehr in das Vaterdorf von Reinhard und Elisabeth, dass er „nicht mehr so gut sei, wie er früher
gewesen“[1]. Als
Reinhard während seinem Aufenthalt auf Gut Immensee das Volkslied „Meine Mutter
hat’s gewollt“ anstimmt, kann man an der Reaktion von Elisabeth erkennen – sie
verlässt fluchtartig den Raum –, dass es nicht Elisabeth gewesen ist, die die
Entscheidung gefällt hat, Erich das Jawort zu geben, sondern ihre Mutter.
Im Gegensatz zu dieser erzwungenen
Ehe sucht sich Vrenchen in „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ selbst ihren Ehemann
aus. Sie liebt Sali seit ihrer Kindheit und flüchtet sogar mit ihm, um mit ihm
für immer zusammen sein zu können. Da aber Sali für den Verlust des Verstandes von
Marti verantwortlich ist, könnte die Ehe niemals mit dem Gewissen von Vrenchen
vereinbart werden. So entscheiden sie sich zu der verzweifelten Tat, sich
selbst umzubringen, um vor den Problemen der realen Welt zu flüchten und für
immer vereint zu sein.
Der Vater von Vrenchen erscheint häufiger
in der Rolle des Erziehers als die Mutter. Vrenchen zollt ihrem Vater zwar den
notwendigen Respekt und liebt ihn auch von ganzem Herzen, aber ihm scheint
nicht besonders viel an seiner Tochter zu liegen. Er misshandelt sie, sobald
sie sich nicht seinen Anforderungen und Erwartungen entsprechend benimmt und
weist sie so in ihre Schranken. So schlägt er sie zum Beispiel, als sie mit
ihrem damaligen besten Freund Sali am Acker ein kleines Fest feiert:
„[…] und er gab ihr, ohne zu wissen warum, einige Ohrfeigen, […] denn die Rauheit der Väter, an sich
ziemlich neu, war von den arglosen Geschöpfen noch nicht begriffen und konnte
sie nicht tiefer bewegen.“[2]
Die nächste
Szene, in der Marti seine Tochter misshandelt, zeigt gleichzeitig, wie sehr er
die Familie Manz hasst aber auch, dass der verliebte Sali bereits einen
Beschützerinstinkt für Vrenchen ausgebildet hat. Marti erwischt seine Tochter
beim Herumtreiben mit dem Sohn von Manz:
„…dass der Alte nun statt seiner nun das
zitternde Mädchen fasste, ihm Ohrfeigen gab, dass der rote Kranz herunterflog,
und seine Haare um die Hand wickelte, um es mit sich fortzureißen und weiter zu
misshandeln. Ohne sich zu besinnen, raffte er einen Stein auf und schlug mit
demselben den Alten gegen den Kopf, halb in Angst um Vrenchen und halb im
Jähzorn.“[3]
Bereits im
Alter von 8 muss
sich Vrenchen der typischen Rolle der „Dame“ unterordnen:
„…und das braune Vrenchen, obgleich es ein feuriges Dirnchen war, musste bereits unter der Obhut seines Geschlechts gehen, sonst wäre es von den andern als ein Bubenmädchen ausgelacht worden.“[4]
„…und das braune Vrenchen, obgleich es ein feuriges Dirnchen war, musste bereits unter der Obhut seines Geschlechts gehen, sonst wäre es von den andern als ein Bubenmädchen ausgelacht worden.“[4]
Obwohl das junge Mädchen es nicht
leicht hat, kümmert sie sich rührend um ihren Vater bis zum bitteren Ende. Als
Marti in eine „Stifung für dergleichen arme Tröpfe“ eingewiesen wird. Sie
vernachlässigt sogar ihre eigene Gesundheit und richtet sich fast zu Grunde,
nur um für ihren Vater da sein zu können. Vrenchen muss bereits in ihrer Jugend
selbstständig werden und lernt so auch Stärke zu zeigen:
„Darum war das schöne wohlgemute junge Blut in jeder Weise
gedemütigt und gehemmt und konnte am wenigsten der Hoffart anheim fallen.
Überdies hatte es bei schon erwachenden Verstande das Leiden und den Tod der
Mutter gesehen, und dies Andenken war ein weiterer Zügel, der seinem lustigen
und feurigen Wesen angelegt war, sodass es nun höchst lieblich, unbedenklich
und rührend sich ansah, wenn trotz alledem das gute Kind bei jedem Sonnenblick
sich ermunterte und zum Lächeln bereit war.“[5]
In „Immensee“
lenkt der Autor die Aufmerksamkeit der Leser vor allem auf den männlichen
Hauptcharakter. So erfährt man zum Beispiel nie, was Elisabeth während der Zeit
erlebt, als sich Reinhard seine Heimatstadt verlässt „um seine Ausbildung
fortzuführen“. Später erfährt man, dass Reinhard auf einer Universität
studiert. Es scheint fast so, als ob Elisabeth diese Bildung vorenthalten
bleibt. Sie geht zwar mit Reinhard zusammen in die Grundschule, aber Elisabeth
scheint zu Hause Handwerkstätigkeiten auszuführen, denn sie schickt ihm als
Geschenk Manschetten, Tücher und gestrickte Wäsche.
Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass sich die Frauen in dieser Zeitepoche alles andere als
frei und unabhängig gefühlt haben. Sie werden in jedem Lebensabschnitt von
Männern unterdrückt, ihre Rechte begrenzen sich auf ein Minimum und ihre
Bedürfnisse ordnen sich ganz hinten ein.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung aufgrund der Industrialisierung, erheben sich zeitgleich mehrere Frauenbewegungen, die der Unterdrückung der Frau Einhalt gebieten wollen. Die Emanzipation schreibt hier ihren Beginn. Heute kann man auf beachtliche Ergebnisse dieser Bewegungen blicken, doch es gibt natürlich immer noch viel Raum für Verbesserungen. Wenn man heute mit damals vergleicht, fühlt man sich als Frau des 21. Jahrhunderts besonders frei und man erkennt erst anhand eines solchen Vergleiches, welche Möglichkeiten jedem von uns offen stehen.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung aufgrund der Industrialisierung, erheben sich zeitgleich mehrere Frauenbewegungen, die der Unterdrückung der Frau Einhalt gebieten wollen. Die Emanzipation schreibt hier ihren Beginn. Heute kann man auf beachtliche Ergebnisse dieser Bewegungen blicken, doch es gibt natürlich immer noch viel Raum für Verbesserungen. Wenn man heute mit damals vergleicht, fühlt man sich als Frau des 21. Jahrhunderts besonders frei und man erkennt erst anhand eines solchen Vergleiches, welche Möglichkeiten jedem von uns offen stehen.
[1] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6007 Theodor Storm Immensee und andere Novellen; S. 20, Zeile 28
[2] RECLAMS
UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172 Gottfried
Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe, S. 15, 2-8
[3] RECLAMS
UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172 Gottfried
Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe, S. 42/43, 38-5
[4] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172, Gottfried Keller – Romeo und Julia auf dem
Dorfe S. 11, 24-30
[5] RECLAMS
UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172, Gottfried
Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe S. 19, 10-19
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