Donnerstag, 19. September 2013

Kulturportfolio - 5 Von damals bis heute



5 Von damals bis heute

Es war einmal ein junges Mädchen namens Sophie. Ihr Zuhause war eine heimelige Hütte nahe einem dunklen Wald. Ihre Eltern lebten mit ihr in diesem Häuschen. Ihr Vater hackte gelegentlich in dem nahegelegenen Wald Holz für einen geringen Lohn und ihre Mutter arbeitete zu Hause. Ihre wenigen Freunde lebten alle in der Stadt in der man nach ungefähr einer Stunde Fußmarsch angelangte. Sophie durfte nicht zur Schule gehen, ihre Mutter erklärte ihr, dass das nur Jungs dürften. Sie fand das schade, ihre Neugier war geradezu grenzenlos und alles was neu war, interessierte sie zutiefst. Es war gerade Sommer und zurzeit besonders heiß und schwül. Da Sophie ihrer Mutter gerne beim Kochen half, ging sie eines Tages in den Wald um Kräuter zu suchen. Die kühle Waldluft bot eine willkommene Abwechslung zur drückenden Schwüle auf den offenen Feldern. Sie sprang mit ihrem Körbchen hin und her, ständig auf der Suche nach den duftenden Kräutern und Pilzen. Sie war froh aus dem Haus gehen zu dürfen. Gerade als Sophie die Tür schloss, meinte sie gehört zu haben, wie ihr Vater und ihre Mutter anfingen zu streiten. Das kam häufig vor, aber das Mädchen schlich sich dann immer nach draußen, um das alles nicht mit anhören zu müssen. Manchmal hörte sie sogar, wie ihr Vater ihrer Mutter schlug. Ihre Mutter so zu sehen tat ihr sehr weh, doch sie wusste, dass man sich als Frau nicht gegen die Männer auflehnen durfte. Ein einziges Mal war es bis jetzt vorgekommen, dass sie ihre Mutter gegen den Vater verteidigen wollte, doch sie kassierte dadurch nur eine Tracht Prügel. Dieses Ereignis wird ihr ewig im Gedächtnis bleiben, denn noch nie sah sie so große Angst in den Augen ihrer Mutter aufflackern. Aber sie wollte nicht länger an die schlimmen Dinge denken, also konzentrierte sie sich weiter auf das Kräuter und Pilze suchen. Doch es dauerte nicht lange und ihre Gedanken schweiften wieder ab.
Morgen war Sonntag und sie freute sich schon sehr darauf, ihr schönes selbstgemachtes Kleid in die Kirche anzuziehen mit den schicken Sonntagsschuhen, die ihre Mutter ihr mit dem ersparten Geld als Weihnachtsgeschenk gekauft hatte. Aber abgesehen von den schönen Kleidern freute sie sich außerdem darauf, den Sohn des Wirtes von dem Gasthaus in der Stadt wieder zu sehen. Sie wusste, dass sie keine gemeinsame Zukunft vor sich hatten, zumal ihr Vater bereits einen „tüchtigen und ehrbaren“ Mann für sie ausgesucht hatte, den sie heiraten sollte, um ein besseres Leben führen zu können als ihre Eltern. Aber trotzdem genoss sie die Zeit, die sie mit ihm verbringen konnte, sei sie noch so rar. Auf dem Weg in die Stadt sah Sophie immer wieder denselben Bettler am Wegesrande sitzen. Da sie von ihren Eltern gut erzogen worden war und es ihr im Herzen schmerzte, an einem so armen Mann vorbeizugehen, gab sie ihm jedes Mal entweder etwas Kleines zu essen, oder ein paar Münzen, die sie von ihrem eigenen Ersparten opferte.
Wenn sie dann in der kleinen Stadt ankamen, war es immer dasselbe Szenario: wohin sie ihre Köpfe wandten, überall begegneten ihnen Blicke der Verabscheuung. Die Städter hielten sich gemeinhin für etwas Besseres, deshalb versuchte Sophie sich besonders elegant und höflich zu geben, sobald sie einen Fuß in die Stadt setzte. Nach der Kirche trafen sich die Städter in dem Gasthaus. Sie tanzten, lachten und aßen gemeinsam an einem Tisch. Meistens wurden die neuesten Gerüchte beredet. Sophie erfuhr vor einigen Wochen, dass eine Frau, welche ein ungeborenes Kind gebar, aus der Stadt verbannt wurde und nie wieder zurückkehren durfte.
Vollkommen in ihre Gedanken und Träume versunken, übersah sie eine große Wurzel, über die sie nun stolperte. Sie stoß sich den Kopf an einem Stein und wurde bewusstlos. Jemand schrie „Sophie! Sophie!“ Nach wenigen Minuten – oder waren es nur Sekunden? – wachte sie wieder auf.

Sophie lag in ihrem Bett und dachte über den merkwürdigen Traum nach. Alles fühlte sich so real an, als wäre sie gefangen in jener Zeit in jenem Körper des Mädchens. Bald war der Traum vergessen, sie blickte auf die Uhr und sah, dass sie verschlafen hatte und ihre Mutter sie aufgeweckt hatte. Kurz überlegte sie, ob sie heute von der Schule zu Hause bleiben sollte, sie hatte sowieso keine Lust darauf. Doch dann entschloss sie sich, dass sie diesem Tag schon noch irgendwie überstehen würde, es war sowieso Freitag. Sie stand vor ihrem Kleiderschrank und konnte sich wieder einmal nicht entscheiden was sie anziehen sollte. Sie hatte so viele Kleidungsstücke, die sie eigentlich nie anzog und mit all den Stücken fast 2 Kleiderschränke voll. Trotzdem entschied sie sich spontan am Nachmittag shoppen zu gehen. Sie ging die Stufen nach unten, an ihrem Vater vorbei und fragte ihn im Vorbeigehen was es heute zu Mittag gäbe. Da Sophie die Antwort nicht gefiel, schuf sie ihm kurzerhand an, etwas Anderes zu kochen, was besser schmecken würde. Ihre Mutter war die Chefin eines großen Konzerns und war deshalb sehr selten zu Hause. Ihr Vater war öfter zu Hause und kümmerte sich um sie, so gut es eben ging. Doch bei den vielen Freunden oder Affären seiner Tochter, machte er sich nicht einmal ansatzweise die Mühe, den Überblick zu wahren und auf dem Laufenden zu bleiben. Als sie das Haus verließ, joggte sie zur Bushaltestelle und fuhr damit die kurze Strecke in die Schule. Dort angekommen tratschte sie sofort mit ihrer Freundin über den heutigen Abend. Sie planten bereits seit Wochen, dass sie an diesem Freitag bis spät in die Nacht ausgehen würden, um sich ein paar Jungs anzulachen. Beide freuten sich schon sehr darauf und diskutierten darüber, was sie wohl anziehen sollten.
Auf dem Weg ins Einkaufscenter sahen die beiden Freundinnen einen Bettler auf dem Straßenrand sitzen. Sie sahen sich an, begannen laut zu prusten und machten sich sogar über ihn lustig. Als er schließlich aufstand und ging, äfften sie ihn nach, bis er außer Sichtweite war. Sie folgten weiter dem Weg in das Shopping-Center. Dabei rannten sie an dutzenden Städtern vorbei, die gehetzt ihrem Alltag nachgingen und die Menschen in ihrem Umfeld nicht allzu große Beachtung schenkten.
Am Abend tranken beide so viel, dass sie nicht mehr richtig bei Sinnen waren. Nachdem ihnen die Jungs langweilig wurden, verließen sie den Club und machten sich auf den Heimweg. Da sie auf High-Heels unterwegs waren und sie beide bereits über die Grenzen angeheitert waren, geschah es, dass eine der beiden Mädchen eine Gehsteigkante übersah und mit dem Kopf hart auf dem Asphalt aufschlug. Die Andere bückte sich schnell und versuchte ihre Freundin aufzuwecken. Sie schrie „Sophie! Sophie!“. Doch dieses Mal wachte sie nicht mehr auf.

Kulturportfolio - 4 Die Frau in der Literatur des 19. Jahrhunderts



4 Die Frau in der Literatur des 19. Jahrhunderts

Die beiden Werke „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ von Gottfried Keller und „Immensee“ von Theodor Storm erscheinen in der literarischen Epoche des Realismus. Diese Zeitspanne erstreckt sich von 1848 bis 1890 und erscheint in der Geschichte auch oft unter den Namen „bürgerlicher Realismus“ oder „poetischer Realismus“. Die Merkmale der literarischen Werke lassen sich kurz zusammenfassen: Die Handlung der Erzählungen oder Dramen geschieht nicht mehr im Rahmen eines Märchens oder erfundener Scheinwelten, sondern spielen in realen Umgebungen, mit realen Geschehnissen und Figuren. Der Erzähler selbst bleibt im Verborgenen und soll vom Publikum auch nicht erkannt werden. Die Industrialisierung und die damit zusammenhängende Arbeiterbewegung rücken in vielen Werken in den Mittelpunkt der Ereignisse. Einige Autoren nehmen sich im Laufe der Zeit auch der Rolle der Frau der damaligen Zeit an. 
Im Gegensatz zu heute sind die Frauen in der Zeit des Realismus immer noch von der Bildung ausgenommen. Ab der Geburt werden sie von ihrem Vater unterdrückt, wenn sie das heiratsfähige Alter erreichen, übernimmt der Ehemann die Vaterrolle. So erklärt zum Beispiel am Anfang des Buches „Immensee“ der 10-jährige Reinhard der 5-jährigen Elisabeth, dass wenn sie einmal verheiratet sind, nur mehr er über sie bestimmen darf. Bei der Wahl des Ehemannes spielt nicht die Liebe die größte Rolle, sondern der Ruf den der Zukünftige genießt, die Ländereien und Anwesen die er besitzt und das Vermögen, das er in die Ehe einbringen kann. Im Werk „Immensee“ wählt die Mutter Elisabeths den zukünftigen ihrer Tochter ebenfalls nach diesen Kriterien aus. Erich, Besitzer von Gut Immensee, scheint neben dem Studierten Reinhard, der seit Jahren im Ausland lebt, ehrbarer. Die Mutter Elisabeths betont bereits nach der ersten Rückkehr in das Vaterdorf von Reinhard und Elisabeth, dass er „nicht mehr so gut sei, wie er früher gewesen“[1]. Als Reinhard während seinem Aufenthalt auf Gut Immensee das Volkslied „Meine Mutter hat’s gewollt“ anstimmt, kann man an der Reaktion von Elisabeth erkennen – sie verlässt fluchtartig den Raum –, dass es nicht Elisabeth gewesen ist, die die Entscheidung gefällt hat, Erich das Jawort zu geben, sondern ihre Mutter.
Im Gegensatz zu dieser erzwungenen Ehe sucht sich Vrenchen in „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ selbst ihren Ehemann aus. Sie liebt Sali seit ihrer Kindheit und flüchtet sogar mit ihm, um mit ihm für immer zusammen sein zu können. Da aber Sali für den Verlust des Verstandes von Marti verantwortlich ist, könnte die Ehe niemals mit dem Gewissen von Vrenchen vereinbart werden. So entscheiden sie sich zu der verzweifelten Tat, sich selbst umzubringen, um vor den Problemen der realen Welt zu flüchten und für immer vereint zu sein.
Der Vater von Vrenchen erscheint häufiger in der Rolle des Erziehers als die Mutter. Vrenchen zollt ihrem Vater zwar den notwendigen Respekt und liebt ihn auch von ganzem Herzen, aber ihm scheint nicht besonders viel an seiner Tochter zu liegen. Er misshandelt sie, sobald sie sich nicht seinen Anforderungen und Erwartungen entsprechend benimmt und weist sie so in ihre Schranken. So schlägt er sie zum Beispiel, als sie mit ihrem damaligen besten Freund Sali am Acker ein kleines Fest feiert:
„[…] und er gab ihr, ohne zu wissen warum, einige Ohrfeigen, […] denn die Rauheit der Väter, an sich ziemlich neu, war von den arglosen Geschöpfen noch nicht begriffen und konnte sie nicht tiefer bewegen.“[2]
Die nächste Szene, in der Marti seine Tochter misshandelt, zeigt gleichzeitig, wie sehr er die Familie Manz hasst aber auch, dass der verliebte Sali bereits einen Beschützerinstinkt für Vrenchen ausgebildet hat. Marti erwischt seine Tochter beim Herumtreiben mit dem Sohn von Manz:
„…dass der Alte nun statt seiner nun das zitternde Mädchen fasste, ihm Ohrfeigen gab, dass der rote Kranz herunterflog, und seine Haare um die Hand wickelte, um es mit sich fortzureißen und weiter zu misshandeln. Ohne sich zu besinnen, raffte er einen Stein auf und schlug mit demselben den Alten gegen den Kopf, halb in Angst um Vrenchen und halb im Jähzorn.“[3]
Bereits im Alter von 8 muss sich Vrenchen der typischen Rolle der „Dame“ unterordnen:
„…und das braune Vrenchen, obgleich es ein feuriges Dirnchen war, musste bereits unter der Obhut seines Geschlechts gehen, sonst wäre es von den andern als ein Bubenmädchen ausgelacht worden.“[4]
Obwohl das junge Mädchen es nicht leicht hat, kümmert sie sich rührend um ihren Vater bis zum bitteren Ende. Als Marti in eine „Stifung für dergleichen arme Tröpfe“ eingewiesen wird. Sie vernachlässigt sogar ihre eigene Gesundheit und richtet sich fast zu Grunde, nur um für ihren Vater da sein zu können. Vrenchen muss bereits in ihrer Jugend selbstständig werden und lernt so auch Stärke zu zeigen:
„Darum war das schöne wohlgemute junge Blut in jeder Weise gedemütigt und gehemmt und konnte am wenigsten der Hoffart anheim fallen. Überdies hatte es bei schon erwachenden Verstande das Leiden und den Tod der Mutter gesehen, und dies Andenken war ein weiterer Zügel, der seinem lustigen und feurigen Wesen angelegt war, sodass es nun höchst lieblich, unbedenklich und rührend sich ansah, wenn trotz alledem das gute Kind bei jedem Sonnenblick sich ermunterte und zum Lächeln bereit war.“[5]
In „Immensee“ lenkt der Autor die Aufmerksamkeit der Leser vor allem auf den männlichen Hauptcharakter. So erfährt man zum Beispiel nie, was Elisabeth während der Zeit erlebt, als sich Reinhard seine Heimatstadt verlässt „um seine Ausbildung fortzuführen“. Später erfährt man, dass Reinhard auf einer Universität studiert. Es scheint fast so, als ob Elisabeth diese Bildung vorenthalten bleibt. Sie geht zwar mit Reinhard zusammen in die Grundschule, aber Elisabeth scheint zu Hause Handwerkstätigkeiten auszuführen, denn sie schickt ihm als Geschenk Manschetten, Tücher und gestrickte Wäsche.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Frauen in dieser Zeitepoche alles andere als frei und unabhängig gefühlt haben. Sie werden in jedem Lebensabschnitt von Männern unterdrückt, ihre Rechte begrenzen sich auf ein Minimum und ihre Bedürfnisse ordnen sich ganz hinten ein.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung aufgrund der Industrialisierung, erheben sich zeitgleich mehrere Frauenbewegungen, die der Unterdrückung der Frau Einhalt gebieten wollen. Die Emanzipation schreibt hier ihren Beginn. Heute kann man auf beachtliche Ergebnisse dieser Bewegungen blicken, doch es gibt natürlich immer noch viel Raum für Verbesserungen. Wenn man heute mit damals vergleicht, fühlt man sich als Frau des 21. Jahrhunderts besonders frei und man erkennt erst anhand eines solchen Vergleiches, welche Möglichkeiten jedem von uns offen stehen.



[1] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6007 Theodor Storm Immensee und andere Novellen; S. 20, Zeile 28
[2] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172 Gottfried Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe, S. 15, 2-8
[3] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172 Gottfried Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe, S. 42/43, 38-5
[4] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172, Gottfried Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe S. 11, 24-30
[5] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 6172, Gottfried Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe S. 19, 10-19

Kulturportfolio - 2 Die Literatur der Biedermeierzeit



2 Die Literatur der Biedermeierzeit

2.1 „Der Verschwender“ von Ferdinand Raimund

Die Biedermeierzeit ist geprägt von den Ereignissen rund um den Wiener Kongress und die Schreckensherrschaft Napoleons. Die Menschen ziehen sich in ihre Häuser zurück und veranstalten kleine Feiern im Rahmen der Bekannten und der Familie. Überbleibsel der Romantik zeigen sich in den Motiven der Autoren: Natur, Liebe, Zweisamkeit, Idylle, der Gegensatz zwischen dem Guten und dem Bösen, die Zauberei und das Übernatürliche, Glückseligkeit und Friede. Einiger dieser Motive bedient sich auch Ferdinand Raimund in seinem Werk „Der Verschwender“.
Bereits am Beginn des Werkes konfrontiert Raimund die Leser mit den Verhältnissen, die auf dem Schloss des Herrn Julius Flottwell herrschen: Flottwell, welcher durch viel Glück das unermessliche Reichtum seines Vaters geerbt hat, lädt seine „Freunde“ ein, bei ihm zu wohnen und mit ihm ohne bestimmten Grund zu feiern. Vor allem der Bedienstete Valentin zeichnet sich durch seine unumstößliche Treue zu seinem Herrn aus. Trotz den Schikanen, welchen er  immer wieder ausgesetzt ist, zeigt er sich jedes Mal äußerst dankbar, wenn Flottwell ihm Trinkgeld gibt. So zum Beispiel bekundet er seinem Herrn in der folgenden Passage seine Ergebenheit. Es handelt sich dabei um ein Gespräch zwischen Rosa und Valentin, während er ihr erzählt, dass er bei der letzten Jagd eine Ente aus dem See „apportieren“ hat müssen.
Rosa: Und das laßt du dir so alles gfallen?
Valentin: Ja weil ich halt für meinen Herrn ins Feuer geh, so geh ich halt auch für ihn ins Wasser.[1]
Diese Aussage zeigt gleichzeitig, dass die Bediensteten sich vieles gefallen lassen müssen.

Auch die Geliebte von Valentin ist einigen Schikanen ausgesetzt. Zum Beispiel kann sie sich gegen die Annäherungsversuche von Chevalier Dumont nicht wehren.
Dumont: Ah! Schöne Ros‘! (Umfaßt sie zärtlich)
Rosa (windet sich los): Ah was generos. Was hab ich von ihrer Generosität. Ich muß in Garten hinaus.
Dumont: O, Sie dürfen nicht. Ich sein zu enchantè. Dieser Wangen! Dieser Augen! Dieser Augenblicken! O Natur, was haben du da geschaffen, ich kann mick nicht enthalten. Ich muss Sie embrasser.[2]
Bevor Chevalier Dumont jedoch die Bedienstete Rosa bedrängt, begegnet er einer alten Dame. Diese erzählt ihm, dass ihr Mann sie zu Hause ohne gegebenen Grund schlägt. Vielleicht will Ferdinand Raimund damit eine kurze Passage schaffen, in denen er den Lesern zeigt, wie es den Frauen zurzeit geht. Anscheinend genießen einige nur niedrigen Rang und haben ausschließlich die Aufgaben der Hausfrau und der Erzieherin zu erfüllen. Dies bestätigt im weiteren Verlauf auch Rosa, als Flottwell als Bettler bei ihnen im Haus Rast findet. Allerdings tritt sie nicht demütig oder untertänig auf, sondern eher im Gegenteil: selbstbewusst und diejenige, die die „Hosen anhat“.
Rosa: …Mein Mann ist ein guter Lappe, der läßt sich zu allen überreden. Der nähmet die ganze Welt in Haus, aber ich bin die Hausfrau, ich hab zu entscheiden, ich kenn unsere Verhältnisse, unsere Ausgaben und unsere Einnahmen. Ich muß für die Kunder sorgen, wenn sie nichts zu essen haben, und ich kann meine Einwilligung nicht geben…Heut in meinem Haus und nimmer![3]
Die Fee Cheristane verkörpert die Liebe. Sogar für jemanden wie Flottwell – abgehoben, süchtig danach, sich mit den Großzügigkeiten Aufmerksamkeit von anderen zu ergattern – stellt die Liebe etwas Wesentliches dar, das ihn sogar das Geld vergessen lässt. Cheristane und der von ihr erschaffene Geist Azur, symbolisieren auch die Zauberei und das Übernatürliche. In der Zeit des Krieges und der Angst flüchten sich die Menschen in eine Scheinwelt, um der grausamen Realität entrinnen zu können. Dies hat bereits in der Romantik seine Anfänge genommen.
Später geht aus der spontanen Flucht mit seiner Geliebten Amalie hervor, dass es für ihn eigentlich etwas Wichtigeres gibt, als den angehäuften Besitz: Er möchte Zeit mit den Menschen verbringen, die ihm etwas bedeuten. Ein Beispiel dazu bietet das Gespräch, das Amalie und Julius heimlich führen, als sie ihre Flucht planen:
Amalie: Gott, wie siehst du aus!
Flottwell: Wie ein Mann, der seinem Schicksal trotzt. Doch noch ist nicht mein Glück von mir gewichen, weil ich dich nur sprechen kann. Jede Minute droht. Du mußt mit mir noch diese Nacht entfliehen.[4]
Dieser Abschnitt verdeutlicht, dass Julius Flottwell sein „Glück“ nicht darin findet, reich zu sein und Geld für alles und jeden auszugeben, sondern darin, mit seiner Liebsten sprechen zu können.
Wie bereits erwähnt, erscheint der reiche Schlossherr Flottwell im letzten Aufzug als Bettler. Er hat all seine Schätze verloren – sowohl Frau und Kind, als auch sein gesamtes Vermögen. Doch auch seine damaligen „Freunde“ wollen von dem verarmten Mann ohne Besitztümer und ohne Macht nichts mehr wissen. Den tiefen Fall betrachtet Flottwell selbst als Strafe Gottes:
Flottwell: Ich habe nichts zu fordern, gar nichts mehr. Was ich mit Recht zu fordern hatte, ist mir durch einen Höhern (Blick gegen Himmel) schon geworden…[5]
Der tiefe Fall eines ehemals so reichen Mannes erinnert mich an die folgende Stelle aus „Der Traum ein Leben“ von Franz Grillparzer:
Eines nur ist Glück hinieden,
Eins: Des Innern stiller Frieden
Und die schuldbefreite Brust!
Und die Größe ist gefährlich,
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er gibt sind nicht’ge Schatten,
Was er nimmt, es ist so viel!
Dass schlussendlich der als Bettler getarnte Geist Azur dem Schlossherrn alles zurückgibt, was er ihm einst aus Mitleid anvertraut hat, stellt eine ausschlaggebende Metapher dar: Was man im Leben gibt, bekommt man eines Tages wieder zurück. So erhält Julius Flottwell von seinem treu ergebenen Diener Valentin und seiner Frau Rosa eine Unterkunft – wenn auch widerwillig – und von dem Geist Azur einen kleinen Teil seines ehemaligen Reichtums. Aber in dem eigenartigen Verhältnis zwischen dem Bettler und dem reichen Schlossherrn sehe ich persönlich noch eine weitere Botschaft:
Der kleine Mann kann ohne den großen nicht leben, genauso wie der große/reiche nicht ohne den kleinen leben kann.

2.2. Zusammenfassung Vormärz Literaturbuch

2.2.1 Raimund und Nestroy

Ferdinand Raimund und Johann Nestroy spielen beide als Komiker im Wiener Volkstheater. Doch als ihnen die Rollen in Wiener Lokalstücken und Zauberspielen nicht mehr genügen, beschließen sie ihre eigenen Stücke zu schreiben. Beide müssen sich der strengen Zensur unterordnen. Dies bringt die Autoren dazu, sich selbst schlaue Stilmittel einfallen zu lassen, um diese Zensur geschickt zu umgehen. So stehen zum Beispiel in Werken von Raimund statt dem festen Text eines Liedes nur „Ein Lied.“. Der Schauspieler, welche die Rolle des Protagonisten mimt, muss somit improvisieren und kann jedwede Wörter und Reime in diesem Lied verwenden. Er macht auch Gebrauch von der sogenannten „Allegorie“. Dies bedeutet, dass er menschliche Eigenschaften, sittliche Begriffe oder kosmische Ordnungsmächte personifiziert. So kann es durchaus geschehen, dass ein Mensch plötzlich auf das Alter, die Jugend oder jemanden wie den Tod trifft. Er verwendet dieses Stilmittel, um den Menschen Ideale oder das Wirken der höheren Mächte zu vermitteln.
Im Gegensatz zu Raimund versucht Nestroy den Menschen nicht zu zeigen, wie sie zu sein haben, sondern wo ihre größten Fehler liegen. Das ist auch der Grund wieso seine Werke eher gesellschaftskritisch orientiert sind.

2.2.2 Adalbert Stifter

Adalbert Stifter hingegen benutzt die Sprache als einen Ersatz für den Pinsel. Er beschreibt Szenarien, Landschaften und Bühnenbilder derart genau, dass man sich ein detailgetreues Bild im Kopf herbeizaubern kann. Anfangs zeigt sich vor allem das gebildete Volk sehr begeistert von den Werken Stifters. Doch es gibt genauso viele Gegner seiner Dichtung. Eine Kritik trifft ihn besonders hart: Friedrich Hebbel, wessen Kritik größeres Gewicht hat und weitere Verbreitung findet.


[1] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 49, 1. Aufzug, 6. Auftritt, S. 17
[2] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 49, 2. Aufzug, 6. und 7. Auftritt, S. 41
[3] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 49, 3. Aufzug, 8. Auftritt, S. 79
[4] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 49, 2. Aufzug, 14. Auftritt, S. 55
[5] RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 49, 3. Aufzug, 3. Auftritt, S. 68

Samstag, 20. April 2013

Kulturportfolio - 3 Woyzeck - ein Drama

Dieses Portfolio entstand als Kulturbeitrag für den Unterrichtsgegenstand Deutsch. Ich besuche die vierte Klasse der Handelsakademie in Telfs/Tirol. Für diese gesamte Arbeit (unverbessert, Arbeitsaufgabe 1-5) bekam ich die Note "Sehr Gut". Dieser Text sollte lediglich als Vorlage für jene dienen, die ähnliche Arbeitsaufgaben ausarbeiten müssen. Ich selbst habe mich natürlich auch einigen Quellen bedient, als ich diese Texte ausgearbeitet habe. Das Quellenverzeichnis werde ich ebenfalls hochladen.

3. Arbeitsaufgabe: Besorge dir den Text "Woyzeck" (Büchner) und lies ihn. Wir sehen auch den Film Woyzeck. Gib eine kurze Inhaltsangabe des Werkes und verfasse anschließend
a) eine Charakteristik von zwei FIguren aus dem Film. Eine davon muss der Woyzeck sein, die andere kannst du frei wählen. Stelle die Protagonisten einander gegenüber. Die Form bleibt dir überlassen!
b) Vegleiche im Anschliss Buch und Film und erkläre in Form einer Film-/Buchkritik welche Version du bevorzugst und warum!
c) Zum Schluss schreibe bitte einen Kommentar in dem du dir Gedanken darüber machst, wer heutzutage die sogenannten "Sprachlosen" unserer Gesellschaft sind, wie die dazu geworden sind oder wer sie dazu gemacht hat. Gib deinem Text eine passende (provokante) Überschrift!



3 Woyzeck – ein Drama


3.1 Inhaltsangabe

Woyzeck – geschrieben von Georg Büchner und als unfertiges Dramenfragment 1837 hinterlassen. Erstmals gibt es Karl Emil Franzos 1879 als eine stark überarbeitete Fassung im Druck heraus. Das Drama besteht aus vielen kurzen und für sich alleine stehenden Szenen. Diese Eigenschaft zeichnet ein „offenes Drama“ aus. Die Reihenfolge der Szenen spielt keine Rolle, sie können beliebig ausgewechselt und angeordnet werden.
Im Drama selbst geht es um das Leben des Franz Woyzeck – eines armen Soldaten aus der „Unterschicht“ im 19. Jahrhundert. Mit seiner Freundin Marie hat er vor ungefähr drei Jahren ein uneheliches Kind gezeugt. Um diese beiden Menschen – die einzigen Freunde, die er hat – versorgen zu können, arbeitet er jeden Tag hart und gibt all das Geld, das er verdient, an seine kleine Familie ab.
Der Hauptmann, für den Franz arbeitet, unterdrückt ihn ununterbrochen. Außerdem zeigt er ihm bei jeder gegebenen Gelegenheit, wie sehr er als Vertreter der „oberen Schicht“ Woyzeck als Repräsentant der „Unterschicht“ überlegen ist.
Da Woyzeck sich nicht sehr wohl fühlt und zusätzlich unter Verfolgungswahn zu leiden scheint, sucht er den Doktor auf. Dieser bietet ihm an, gegen Geld an einem Versuch teilzunehmen. Bei diesem Versuch gehe es darum, die Wirkungen der sogenannten „Erbsendiät“ auszutesten. Der Doktor weiß, wie er einen armen Bürger der Unterschicht locken kann und trifft mit der Aussicht auf Geld genau ins Schwarze bei Woyzeck. Dieser verpflichtet sich folglich dazu, jeden Tag nichts anderes als Erbsen zu sich zu nehmen.
Marie beginnt im Laufe der Zeit eine heimliche Affäre mit dem Tambourmajor. Er macht ihr besondere Geschenke und umgarnt sie tückisch. Marie weist ihn, als sie alleine bei ihr zu Hause stehen und er sie küssen will, zuerst zurück. Kurz darauf kann sie jedoch der Anziehungskraft und dem Charme, die von ihm ausgehen, nicht mehr widerstehen und lässt sich zu einem Liebesakt mit ihm verführen. Sie plagen fürchterliche Schuldgefühle deswegen und sie will es um jeden Preis vor Franz geheim halten.
Dieser erfährt zufällig von dem Hauptmann und dem Doktor von seinem Nebenbuhler. Woyzeck kann es nicht fassen. Er entfernt sich von dem Doktor, der nur an seinem körperlichen Befinden Interesse äußert, und dem Hauptmann, der noch eher Verständnis für Woyzeck an den Tag legt.
Franz stellt Marie zur Rede, beschuldigt sie, von einer Sünde befleckt zu sein, die so sehr stinkt, dass man die Engel aus dem Himmel hinaus räuchern könnte. Marie bestreitet jeden Vorwurf, verbietet Franz aber sie anzufassen.
Woyzeck lässt der Gedanke nicht los, dass Marie ihn betrügen könnte. Er spioniert an einem Fenster vom Gasthaus, in dem Musik gespielt und getanzt wird. Als er durch das Fenster blickt, sieht er Marie mit dem Tambourmajor vergnügt tanzen.
Außer sich vor Wut und Verzweiflung läuft er durch Felder und findet in der Nacht keinen Schlaf in der Kaserne.
Als Woyzeck sich gleichzeitig mit dem Tambourmajor im Gasthaus befindet, kommt es zu einem kleinen Kampf, bei dem Woyzeck verliert.
Woyzeck will sich eine Pistole kaufen, hat aber nur genug Geld für ein Messer. Er räumt sein Hab und Gut in der Kaserne auf und überlässt alles seinem Kamerad. Dieser denkt wie alle anderen, dass Woyzeck an Fieber leide, unternimmt jedoch nichts, um ihm zu helfen.
Woyzeck bricht mit Marie zu einem Spaziergang auf, der bei einem See endet. Marie fühlt sich von Anfang an nicht sehr wohl in Franz‘ Gesellschaft und mit ihrem Bauchgefühl sollte sie auch Recht behalten: Woyzeck ergibt sich seien inneren Stimmen und ersticht sie mit dem Messer. Das Ende bleibt offen: Woyzeck will die Mordwaffe verschwinden lassen. Er wirft das Messer in den See, watet hinein und wirft es weiter. Er entscheidet sich dazu, seine Kleidung zu waschen, da sie mit Blut befleckt ist. Die letzten Worte von zwei fremden Personen weisen darauf hin, dass sich nun auch Woyzeck das Leben genommen hat.
Zwischen dem Inhalt von Film und Buch bestehen keine gravierenden Unterschiede, einzig die Szenen sind unterschiedlich angeordnet. Die Reihenfolge spielt jedoch keine Rolle, da es sich bei diesem Werk um ein offenes Drama handelt.

3.2 Charakteristik

3.2.1 Franz Woyzeck

Woyzecks Charakter zeichnet sich dadurch aus, dass er den klassischen unterwürfigen und ungebildeten Bürger des 19. Jahrhunderts darstellt. Dieses Bild verstärkt der Autor zusätzlich noch damit, dass er Woyzeck in die Rolle eines Soldaten schlüpfen lässt. Er hat dadurch sowieso den Befehlen des Hauptmannes zu folgen, aber dass er auch noch die Schikanen des Hauptmannes aushält und sich nicht gegen ihn zu wehren weiß, zeugt davon, dass Woyzeck so oder so kein Mann mit überragendem Selbstbewusstsein ist. Neben der Unterwürfigkeit spiegelt sich in dem Handeln und der Beschreibung von Woyzeck aber auch Hektik und stetige Nervosität.
Woyzeck stellt einen Bürger der unteren Schicht dar, der sich nicht auskennt, nichts in Frage stellt was die obere Schicht anordnet oder sagt und dessen einzige Bildung darin besteht, die Bibel gelesen zu haben, aus der er manchmal zitiert. So zum Beispiel in der Szene, in der er den Hauptmann rasiert:
„Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehn, ob das Amen drüber gesagt ist, eh‘ er gemacht wurde. Der Herr sprach: lasset die Kindlein zu mir kommen.“[1]
Woyzeck spricht in diesem Zitat den unehelichen Sohn von ihm und Marie an. Marie liebt der arme Soldat von ganzem Herzen, zumal sie auch den einzige Menschen in seinem Leben darstellt, der ihm etwas bedeutet und dem er etwas bedeutet. Er gibt ihr sein ganzes Einkommen, sei es noch so spärlich. Um sie und ihr Kind erhalten zu können nimmt er niedrige Nebenarbeiten an, man kann es auch als Drecksarbeiten bezeichnen. So lässt er sich auch nur vom Geld lenken, als er dem Doktor erlaubt, sich als Versuchskaninchen für eine „Erbsendiät“ zur Verfügung zu stellen. Diese Diät bringt ihn dazu, sich vor ihm selbst zu entfremden. Die Nebenwirkungen der einseitigen Ernährung –Paranoia, anfängliche Schizophrenie, bleiches Gesicht und erhöhter Puls – sind vielleicht sogar die Auslöser für seinen Wutausbruch gegenüber seiner Geliebten, am Ende des Stücks.

3.2.2 Der Doktor

Der Doktor mimt in diesem Stück die Rolle des Gebildeten. Er ist der einzige, der wirklich von sich behaupten kann, Bildung genossen zu haben. Doch leider nutzt er diese Bildung nicht nur, um seinen Mitmenschen zu helfen. Den Soldaten Woyzeck betrachtet er als Casus, als Fall. Die Nebenwirkungen der verschriebenen Erbsendiät findet er äußerst interessant. Der schlechte Zustand des Patienten kümmert ihn nicht, das Einzige für das er Interesse zeigt, sind die Erkenntnisse, die er durch sein Versuchskaninchen erlangt. Der Doktor hat genau gewusst, wie er den Vertreter der unteren Schicht der Gesellschaft locken kann – mit Geld. Er sieht sich selbst als überlegen gegenüber der Unterschicht und nimmt sich somit automatisch das Recht heraus diese zu benutzen, ohne Rücksicht auf Verluste. Der skrupellose Doktor sieht nur seine Laufbahn vor Augen und schikaniert Woyzeck zusammen mit dem Hauptmann in aller Öffentlichkeit noch zusätzlich.


3.3 Film- und Buchkritik

Woyzeck – Geschrieben von Georg Büchner, hinterlassen als Fragment und verfilmt 1979 von Werner Herzog als Regisseur und Klaus Kinski in der Hauptrolle des Franz Woyzeck. Der Stil des Buches wird im Film genauso wiedergegeben, wie man ihn als Leser des Werkes empfindet. Die Kühle und das Dumpfe werden durch triste Umgebungen, schmutzige Gassen und allgemein dunkelgehaltene Kulissen verdeutlicht. Es mag sein, dass einige dadurch die Nähe zu den Schauspielern und der Handlung selbst vermissen, aber meiner Meinung nach passt diese Distanz gegenüber den Figuren perfekt in die Atmosphäre die sich ergibt, wenn man das offene Drama liest.
Von einem Film zu einem verschlüsselten Werk wie Woyzeck erwartet man sich wahrscheinlich eher die Entschlüsselung und das Einfließen der Interpretation des Regisseurs. Aber alleine durch den verzweifelten Woyzeck, den man immer nur mit angespanntem Gesichtsausdruck und unsicherer Mine begegnet, wirkt die Trostlosigkeit des Alltages überwältigend authentisch. Die Gedanken darüber, was der Autor mit diesem Werk ausdrücken wollte und was er sich bei dem Erstellen gedacht hat, kann sich jeder selbst machen. Die Meinung und Sichtweise der Zuschauer wird nicht durch eine abgestempelte Interpretation des Regisseurs getrübt oder verfälscht. Es ist eine Verfilmung eines Dramas mit dem ursprünglichen Werk als Drehbuch.
Die Untermalung durch die etwas eigenwillige Musik weckt das Gefühl von Unruhe und immerwährender Nervosität. Die Sprache jedoch zeigt eine gewisse Volksnähe, da immer wieder Dialekt gesprochen wird.
Abschließend lässt sich sagen, dass für mich persönlich der Film nur die verfilmte Theaterfassung darstellt, deren Kulissen sich als wahre Orte erweisen. Der Film war weniger aufregend und spannend, ungeachtet des herausragenden Hauptdarstellers Klaus Kinski.
Ich persönlich bevorzuge die Buchform, da ich manche Dialoge im Film akustisch nicht verstanden habe. Außerdem treten die Zusammenhänge im Buch viel stärker hervor als im Film.

3.4 Kommentar

Unterdrückt, ausgeschlossen, diskriminiert – die „Sprachlosen“ im Zentrum einer „zivilisierten“ Gesellschaft
„Sprachlos“. Nicht nur jene die nicht sprechen können sind es, im Gegenteil, viele die der Sprache mächtig sind, könnte man so bezeichnen. In diesem Fall versteht man unter „Sprachlos“ jene, die nicht die Fähigkeiten und Mittel besitzen, das zu erreichen, was sie wollen oder was ihnen zusteht.
In der heutigen Gesellschaft sieht und hört man oft von Verbrechen, Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung und Unterdrückung. Was das mit den „Sprachlosen“ zu tun hat? Mehr, als mancher vielleicht glaubt.
Im Werk „Woyzeck“ von Georg Büchner erlebt man mit, wie der ungebildete, arme Soldat Franz von der oberen Schicht schikaniert und ausgenutzt wird. Wieso wehrt er sich nicht? Weil er weder die Macht dazu besitzt, noch die Bildung um überhaupt etwas zu hinterfragen. Er nimmt alle Befehle und Behauptungen der oberen Schicht für bare Münze. Ihm, als Vertreter der Unterschicht, ist keine Bildung zuteil geworden, obwohl er bestimmt nicht dumm wäre.
Bildung spielt auch in unserer heutigen Zeit eine wichtige Rolle. Die Zukunft eines jeden Einzelnen liegt in deren Händen. Wie bereits Kant gesagt hat: „Tretet aus eurer selbst verschuldeten Unmündigkeit hervor“. Jeder kann selbst entscheiden wie er sein Leben meistert, aber einen Hauptbestandteil, der nötig ist, um überhaupt etwas erreichen zu können, ist die Bildung. Jeder in Österreich hat Zugang zu vielen öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Universitäten, Weiterbildungskursen, Hochschulen, Fachschulen usw. Ganz anders sieht die Situation in den armen Regionen der Welt aus. So haben zum Beispiel die Frauen der Taliban keine Rechte. Nein sogar weniger Rechte als Tiere. Sie werden in den afghanischen Gebieten ausnahmslos als Gebärmaschinen und Haushälterinnen betrachtet. Es ist ihnen verboten zu arbeiten, etwas zu lernen, sich außerhalb des Hauses ohne ihren Mann aufzuhalten, etwas anderes als die lange Burka zu tragen und sogar laut zu lachen. Alle Frauen der Taliban leiden unter diesen Vorschriften und können sich nicht gegen die Männer wehren. Bei einem Aufstand werden sie gesteinigt, ausgepeitscht oder grausam misshandelt oder ermordet. Sie sind wahrlich sprachlos.
Einen Anteil der „Sprachlosen“ der Gesellschaft in Österreich macht ohne Zweifel die ältere Schicht aus. Im Werk Sibirien von Felix Mitterer erhält man als Leser einen Einblick in die Gefühlswelt eines alten Mannes, der von seinen Kindern in ein Altersheim „deportiert“ worden ist. Er fühlt sich von den Trends der modernen Welt überfordert, zu einem Kleinkind degradiert, im Stich gelassen von seiner Familie und menschenunwürdig behandelt von dem Pflegepersonal. Es ist nicht sehr abwegig, dass sich in Wirklichkeit viele alte Menschen als Außenseiter sehen. In einer modernen Welt, in der der technische Fortschritt mit jedem Tag voranschreitet, fühlt man sich schnell nicht mehr dazugehörig. Das Problem liegt darin, dass viele Personen die alten Mitmenschen nicht mehr beachten und sogar so weit gehen, sie zu diskriminieren. Um einem solchen unvorteilhaften Wandel Einhalt gebieten zu können, ist mehr nötig als bloße Erziehungsmaßnahmen gegenüber den Diskriminierenden. Keiner der alten Menschen kann sich dagegen wehren, in ein Pflegeheim abgeschoben zu werden, vielleicht plagen manche sogar ein schlechtes Gewissen, so viel von ihren Nachkommen abzuverlangen. Doch angenommen jemand leidet an Alzheimer. Derjenige realisiert nicht einmal mehr, dass die Wirklichkeit, die er sieht, nicht die ist, die jeder andere sieht.
Doch nicht nur die moderne Zivilisation leidet unter Unterdrückung und Diskriminierung. Ein Teil der Weltbevölkerung leidet tagtäglich unter Existenzängsten und verliert sogar jeden Tag ein Stück mehr des Lebensraumes, der ihnen eigentlich zusteht. Die Rede ist von Naturvölkern in den Regenwäldern, welche auf Befehl der Großkonzerne abgeholzt werden, ohne Rücksicht auf die Population, die in den wertvollen Naturschätzen lebt. Niemand der Eingeborenen hat auch nur die geringste Chance sich gegen die Großkonzerne zu wehren. Es gibt zwar Organisationen, die sich für den Erhalt der Regenwälder einsetzen, aber gegen den Druck der Produktionsbetriebe, die die Rohstoffe für die Produkte brauchen, die wiederum die Konsumenten benötigen, können keine Organisationen der Welt etwas ausrichten, auch nicht wenn sie noch so viele Mitglieder haben.
Alles in allem kann man sagen, dass es überall auf der Welt noch viele Sprachlose gibt. Ich persönlich hoffe jedoch, dass sich die Situation jener hilflosen Menschen verbessern wird. Allerdings muss man dabei betonen, dass es ein Ding der Unmöglichkeit darstellt, diese Veränderungen innerhalb von wenigen Tagen zu vollziehen. Für jedes Problem innerhalb der Gesellschaft braucht es eigene Lösungsansätze, denn jedes Problem muss anders gehandhabt werden. Aber fest steht, dass ein Umdenken in den Köpfen der Einzelnen stattfinden muss. Es rücken vermehrt die materiellen Güter in den Fokus des Interesses, wo sich eigentlich die sozialen und menschlichen Werte befinden sollten. Es lässt sich nicht im Entferntesten abschätzen, wie die zukünftigen Veränderungen auf diesem Gebiet aussehen werden. Doch bei dem aktuellen Stand der Dinge, muss man fast auf ein Wunder hoffen, wenn man auf eine positive Entwicklung hoffen will.


[1]
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 18420 Georg Büchner - Woyzeck, 6. Szene, S. 16