Montag, 30. Juli 2012

Portfolioarbeit Sibirien von Felix Mitterer


Inhaltsangabe

In Felix Mitterers Buch „Sibirien“ steht ein alter Mann in einem Pflegeheim im Mittelpunkt. Die Gespräche und Gedanken dieser Person werden in Monologform dargestellt. Er wird manchmal von seinem Sohn und dessen Frau besucht, wobei zu erwähnen ist, dass letztere öfter anwesend zu sein scheint als der Sohn.  Anfangs ist die Rede davon, wie der Weg in das Pflegeheim überhaupt organisiert worden ist. Immer wieder redet der Alte von einer „Nacht- und Nebelaktion“, bei der seine „Deportation“ durchgeführt worden ist. Nach einem Sturz verbringt er einige Tage im Krankenhaus, in dem er sich bereits wieder freut nach Hause zurückkehren zu dürfen. Jedoch macht ihm seine Familie einen Strich durch die Rechnung, indem sie ihn sofort nach der Entlassung in ein Pflegeheim einweisen lässt. Dort fühlt er sich von dem Pflegepersonal unmenschlich und ungerecht behandelt und vergleicht den Aufenthalt in diesem Heim mit der Kriegsgefangenschaft in Sibirien. Die Kälte die die Menschen in seinem Umfeld ausstrahlen scheint jedoch schlimmer zu sein als jene, die in Sibirien geherrscht hat. Nach und nach werden mehr Informationen preisgegeben, wie etwa, dass der Sohn und seine Familie bei dem alten Mann gelebt haben und er einen Hund besessen hat. Nach diesem sehnt er sich beinah am meisten, denn er war der einzige Freund und die einzige Aufgabe die ihm verblieben ist. Er erwähnt, dass das treue Haustier immer an zweiter Stelle nach seiner Frau gestanden hat. Doch neben den mitleidserregenden Seiten, kommt auch der Zeitpunkt in dem man als Leser erkennt, dass die Familie auch ihre Gründe hat, ihn nicht mehr nach Hause zu nehmen. Er gibt selbst zu, dass er ein Choleriker ist, dass er sich überall und bei jeder Situation immerzu einmischt und sich eigentlich wegen jeder Kleinigkeit aufregt. Als er dies erkennt und es sich eingesteht verspricht er ihnen, sich zu ändern und alles zu tun was sie von ihm wollen. Doch als sie auch nach diesen Versprechen stur bleiben, schreibt er einen Brief an den Bundespräsidenten und beklagt sich in diesem über die Zustände in dem Heim. Der Präsident besucht ihn ganz am Ende des Buches, wobei unklar bleibt ob er sich diesem Besuch nur einbildet oder ob es eine reelle Begebenheit ist. Schließlich wird der alte Mann von seinem - in seinen Augen nutzlosen und schweren - Leben erlöst und er stirbt neben seiner Frau, mit seinem Hund zu Füßen:
„Agnes, meine liebe Frau, komm an meine Seite, Hund, leg dich mir zu Füßen, nicht mehr lange, dann werden wir zusammen am Flußufer sein und laufen und laufen"

Charakterisierung

Schon von Anfang an steht man mitten in den Geschehnissen. Dies führt auch dazu, dass man sofort eine Art Mitgefühl für den Sprechenden – also für den alten Mann – entwickelt. So wie er seine Lage darstellt, ist er völlig hilflos und eigentlich unschuldig. Unschuldig dafür, dass er nun in diesem Heim sitzt und unfair von den Pflegekräften behandelt wird. Er lehnt sich mit ganzer Kraft gegen das Alter und das Altwerden auf. Erst nach und nach erkennt man das wahre Gesicht dieses Menschen.
Er verhält sich zum Beispiel beim Umgang mit Menschen eher verschlossen.
Abbildung 3: Sibirien - Premiere am 3.02.2011 im INSEL Theater/ Badisches Staatstheater Karlsruhe; alter Mann während eines Wutausbruchs
 
Da seine Schwiegertochter ihn sehr oft besuchen kommt und er dadurch auch viel über die Familie und ähnliche Angelegenheiten spricht, erfährt man von den wahren Charakterzügen, die zu Hause ans Licht gekommen sind. Unter anderem findet man darunter Egoismus, Neid, ein Gefühl von Nutzlosigkeit, genauso wie ein Gefühl der Vernachlässigung und eine Neigung zum Jähzorn. Er selbst beschreibt sich oft als Choleriker.
In einer Szene – die Schwiegertochter ist gerade bei ihm zu Besuch – erzählt er ihr von der Bestechung der Schwestern, damit er eine bessere Behandlung bekommt. Dies ist offensichtlich Mittel zum Zweck, denn er will der Schwiegertochter damit augenscheinlich zeigen, dass er das Geld lieber den Schwestern gibt, als es ihr und seinem Sohn zu überlassen. Er will sie damit auch neidisch und eifersüchtig machen, um sie somit – obwohl er nicht mehr zu Hause wohnt – aufzuregen.
Da immer mehr das wahre Gesicht des Alten zu Tage kommt, sieht man das ganze Geschehen langsam auch in einer anderen Perspektive: die Familie ist das Opfer und wird durch den Alten „tyrannisiert“ und nicht umgekehrt, wie es bisher den Anschein gehabt hat.
Das Wort „Familienverband“ spricht der Alte meiner Meinung nach immer mit einem spöttischen Unterton aus, da es sicher in seiner Zeit noch einen besseren und stärkeren Zusammenhalt in der Familie gegeben hat als in der des Sohnes.
Es lässt sich auch erkennen, dass der Heiminsasse mehrmals versucht, sein Gegenüber zu überreden, seine Meinung und seine Wünsche zu akzeptieren. Wenn dieser Versuch scheitert, sieht er es sofort ein, jedoch wird er zornig darüber, keine Macht mehr über die Entscheidungen eines Anderen zu haben. Dies ist er ohne Zweifel von der Kriegszeit gewohnt, in der er eine angesehene Position inne gehabt hat. Die strenge Erziehung die er genossen hat, sieht er auch als Pflicht für seine Enkelkinder und versteht nicht wie sein Sohn und dessen Frau ihnen so viele Sachen erlaubt haben, als er noch bei der Familie im Haus gewohnt hat und ihnen keinen Respekt vor den Alten gelehrt haben. Andererseits sorgt er sich auch um den Sohn und hat Angst, dass dieser so wird wie er. Die Gespräche mit ihm entstehen auf einer deutlich größeren Vertrauensbasis, als die mit der Schwiegertochter. Als er von den alten Zeiten spricht, erwähnt er auch einen Vorfall bei dem sein wechselhaftes Gemüt zum Ausdruck kommt: zuerst schlägt er seinen Sohn in seinem Wutanfall und später bereut er es aber so sehr, dass er sich entschuldigt und ihn beruhigt und streichelt. Allerdings ist dies das einzige Mal, dass er sich in seinem ganzen Leben bei ihm entschuldigt hat.
Ein weiterer Teil in seinem Leben der von den Kriegserfahrungen geprägt ist, ist der Ausdruck der Gefühle. Da in der Vergangenheit die Männer immer die Starken sein mussten und keine zärtlichen Gefühlsregungen gegenüber Anderen erlaubt waren, zeigt er solche auch nur sehr selten. Es lässt sich erahnen, dass seine Frau die wichtigste Rolle in seinem Leben gespielt hat und dass sie auch die Einzige war, der er sich mitgeteilt hat und die seine Gedanken und Gefühle gekannt hat.

Literarische Facharbeit

Das Buch „Sibirien“ ist 1989 in Innsbruck von Felix Mitterer verfasst worden.
Die 80-er-Jahre sind geprägt von technischen Weiterentwicklungen und vielen politischen Ereignissen in der Welt. Die technischen Entwicklungen werden in dem Buch manchmal am Rande erwähnt, wie etwa der Kassettenrekorder oder der Trend zum Urlaubfahren. Man erkennt und sieht noch überall die Nachwirkungen des zweiten Weltkrieges und die deutsche Nation sieht jedermann als gespalten in Ost- und Westdeutschland. Der 9. November 1989 geht in die Geschichte ein, als der Tag an dem die Berliner Mauer gefallen ist. Die jüngste Generation wird „Null-Bock-Generation“ genannt. Darunter versteht man Jugendliche, die aufgrund ihrer Zukunft keine Perspektiven mehr sehen.
In diesem Drama bedient sich der Autor der Monologform, damit sich der Leser direkt in die Hauptperson – den alten Mann – hineinversetzt fühlt und sich besser mit ihr identifizieren kann. In dem Buch stecken viele versteckte Botschaften und es fungiert als ein sehr gesellschaftskritisches Werk. Die drei Hauptthemen darin stellen Alter, Familie und Geld dar. Dabei fokussiert sich alles darauf, wie sich die Gesellschaft – bezogen auf diese Themen – in den letzten Jahren gewandelt hat. Vor allem an der Familie und dem „Familienverband“ übt der Alte immer wieder Kritik. In dem Teil, in dem er erfährt, dass sein ehemaliges Zimmer nun das von seiner Enkeltochter ist, merkt man, wie er langsam einen richtigen Zorn gegen die Kinder und Jugendlichen entwickelt.

„Ist mein Zimmer schon belegt?
Natürlich, ich hab‘s gewußt!
Das war wohl der Hauptgrund
für meine Deportation, nicht?
Jetzt haben neide ein eigenes Zimmer.
Das Alter muss der Jugend weichen.
Wir waren zu fünft in einem Zimmer,
Frau Schwiegertochter!
Zu fünft!
Aber da gab’s noch keinen Kassettenrekorder!
Da wurde noch nicht gestritten,
wer wann welche Musik hören will!
Musik!
Ich würde das gar nicht als Musik bezeichnen!
Ein Terror ist das!
Akustischer Terror!
Sie haben mich terrorisiert, deine Kinder!
Ständig dieses Wahnsinnsgedudel
durch die ganze Wohnung!
Mein Hund hat gelitten darunter!
Wirklich gelitten!
Winselnd hat er sich unters Bett verkrochen!
Was ist das für eine Musik, bitte?
Schläge in’s Gehirn,
Schläge in’s Gehirn sind das!
In meiner Wohnung!
In meiner eigenen Wohnung!
Das ist meine Wohnung,
erinnere dich!
Diese Wohnung habe ich bezahlt!
Ein Leben lang habe ich dafür gearbeitet!
Und was passiert?
Und was passiert?
Man vertreibt mich
aus meiner eigenen Wohnung!
Das ist ja ungeheuerlich!
Ungeheuerlich ist das!
Da muß es Konsequenzen geben!
Meinst du nicht?“[1]

Mit dem „Frau Schwiegertochter“ dazwischen, will er andeuten, dass ihre Erziehung daran Schuld trägt, dass die Kinder keinen Respekt mehr vor dem Alten gehabt haben und ihn augenscheinlich auch nicht beachtet haben. Die vielen Rufzeichen verstärken noch den Eindruck, dass er sich in einem aufgebrachten Zustand befindet. Auch der Hund spielt in seinem Leben eine wichtige Rolle, denn er repräsentiert das einzige lebende Lebewesen, dem er sich widmen kann, das er liebt und das er als Freund betrachtet. Der Hund gilt auch als seine letzte Aufgabe, der er sich angenommen hat. Nachdem er diese verliert, gibt es seiner Meinung nach nichts mehr, das seinem Leben Sinn gibt. Immer wieder kommt er vor und auch in seinen verzweifeltsten Momenten redet er immer wieder von ihm.

„Wie geht’s meinem Hund?
Ist er gesund?
Sag schon, wie geht’s ihm?

Ja, alt ist er.
Wie ich.
Wir sind beide alt.
Aber es geht ihm gut oder?

Das will ich hoffen!
Daß mir der Hund viel lieber ist,
sagst du, oh Mensch, wär Sünde.
Der Hund bleibt mit im Sturme treu,
der Mensch nicht mal im Winde.
Gebt ihr ihm schon ordentlich zu essen?“[2]
Mit der Bemerkung, dass er sich damals mit allen seinen Geschwistern ein Zimmer hat teilen müssen, verweist er darauf, dass die Kinder seiner Meinung nach heutzutage viel zu verwöhnt leben. Weiters hält er auch die laute Musik für gezielte Provokation seitens der Kinder. Er projiziert alles in seinem Umfeld in einer negativen Art auf sich, denn er fühlt sich, wie viele andere alte Menschen, unnütz und allein. Er sehnt sich nach einer Aufgabe und nach Erfolgsgefühl, nach Anerkennung und vor allem nach Respekt. Denn diesen bekommt er weder von der Familie noch von den Angestellten des Heimes. Denn dort behandelt man ihn – wie er immer wieder erzählt und ausführlich schildert – wie ein Tier. Schließlich geht er sogar soweit zu behaupten, dass das Heim eine Sterbehilfe sei, nur viel qualvoller und länger als es den Menschen würdig sei:

„Das ist die Sterbehilfe
Ich dachte, es gibt keine Sterbehilfe.
Aber es gibt sie doch.
Leider nicht auf Wunsch.
Das Ausleseverfahren ist sehr willkürlich.
Schwer zu durchschauen.
Auffallend ist nur:
Die Verwirrten du die Aufsässigen
verwelken am schnellsten.
Wenn man sie berührt,
raschelt die Haut.
Wie getrocknete Rosen.“[3]

In unserer heutigen Gesellschaft wird der Tot auch oft unnatürlich lange hinausgezögert, denn die Medizin hat sich weiterentwickelt und auch die Techniken sind besser geworden. Doch später mehr dazu.
Das Thema Geld spielt vor allem gegen Anfang eine tragende Rolle. Das Sparbuch gibt Grund für eine Auseinandersetzung zwischen dem alten Mann und der Schwiegertochter. Dieser Streit führt schließlich dazu, dass er ihr und seinem Sohn doch das Sparbuch überlässt und ihnen das Losungswort verrät. Angefangen hat alles so, dass er ihr erzählt hat, dass er sein Geld für die Bestechung der Schwestern ausgegeben hat. Damit will er zeigen, dass er sein hartverdientes Geld lieber ihnen gibt als seiner eigenen Familie, was natürlich eine sehr verletzende Botschaft darstellt. Nachdem er mit der Zwangsräumung gedroht hat, versucht er die Frau des Sohnes zu überreden, ihn nach Hause zu lassen, indem er ihr verspricht nichts zu tun, das einem der Familienmitglieder nicht passen könnte. Nachdem diese jedoch trotzdem ablehnt wird er wieder zornig, sieht nach einiger Zeit die aussichtslose Situation ein und gibt ihnen das Sparbuch. Damit gibt er auch das letzte ihm verbliebene Gut her. Mit der einzigen Bedingung, dass sie sich gut um seinen Hund kümmern sollen.
Die heutigen Entwicklungen zeigen, dass sich einiges verbessert hat, im Gegensatz zu den Behandlungen die im Buch beschrieben werden. Denn vor allem durch die Patientenverfügung, die seit 2009 besteht, werden vielen Menschen Schmerzen erspart und sie haben mehr Recht zu entscheiden was mit ihnen geschieht, wenn sie nicht mehr in der Lage dazu sind, die Situation richtig einzuschätzen oder im Koma liegen. Außerdem muss man beachten, dass heutzutage nur mehr die Schwerstpflegebedürftigen in ein Pflegeheim eingewiesen werden oder jene, die keine pflegegerechte Wohnung besitzen und deren Angehörige die Pflege aus diversen Gründen verweigern. Normalerweise soll es vermieden werden, gleich eine Einweisung vorzunehmen. 

Die Schwerstpflegebedürftigkeit wird dann begünstigt, wenn der Betroffene unter hochgradigem Verwirrtsein leidet, wenn eine schwere Depressive Verstimmung auftritt und wenn die Lernfähigkeit auch nach entsprechendem Training fehlt. Bei einem entsprechenden körperlichen Zustand des Betroffenen, z. B. wenn er keinerlei Kontrolle über Stuhl- und Harnabgang hat, macht in ebenfalls zum Schwerstpflegebedürftigen, ebenso wie die Kombination mit anderen chronischen Krankheiten.“[4]

Doch nicht nur in Bezug auf die Behandlung von alten Menschen hat sich einiges getan. Vermehrt hört man von der Überalterung der Gesellschaft, die zur Folge hat, dass die jungen Menschen die Pensionen der Alten sozusagen finanzieren müssen und dass sie selbst nur mehr sehr wenig erwarten können, da der Rentenfonds bis dahin ausgeschöpft sein wird. Deshalb lässt sich heutzutage vermehrt ein Trend zur privaten Pensionsvorsorge feststellen, der es ermöglicht unabhängig für sich selbst für das Alter vorzusorgen ohne benachteiligt zu werden aufgrund der niedrigeren Auszahlungsbeträge. Eine weitere Folge ist, dass das Gesundheitssystem zusammenbricht bzw. überlastet wird. Es gibt zu viele Patienten und zu wenige Ärzte die sich derer annehmen. Der Tod wird immer mehr verdrängt und mit Medikamenten möglichst lange hinausgezögert. Die Behandlung von kranken, alten Menschen belastet die Krankenkassen so sehr, dass die Beiträge steigen müssen, damit jeder daraus ausgezahlt werden kann.
Meiner Meinung nach ist dieses Buch sehr interessant zu lesen und auf jeden Fall eine Empfehlung für Jedermann. Es bietet Stoff zum Nachdenken für jegliche Altersklasse und besonders für Jugendliche legt es eine Sichtweise dar, mit der sich viele bestimmt noch nicht befasst haben. Obwohl ich mir in meinem Alter nicht sehr viele Gedanken über das Alt werden mache, hat mich dieses Werk sehr dazu angeregt und mir eine neue Sichtweise auf den Alltag der älteren Menschen gegeben. Das Lesen des Werkes hat sich als nicht besonders schwer erwiesen. Wenn man sich mit dem Buch befasst, entdeckt man viele Hinweise auf unsere heutige Gesellschaft und wie sie sich im Vergleich von mehreren Jahren verändert hat. Dieses Merkmal tragen viele Werke von Felix Mitterer wie zum Beispiel „Die Piefke-Saga“. Mit seinen gesellschaftskritischen Werken, die meistens Tabuthemen enthalten, motiviert er zum Um- und Nachdenken. Diese Art den Menschen zu vermitteln, dass sich etwas ändern muss, begeistert mich vor allem deswegen, weil man immer wieder sieht, dass nur mit Nachdruck etwas verbessert wird und es gibt auch nicht viele Autoren, die es wagen, kritische Themen so offen anzusprechen wie Felix Mitterer es tut.


[1] Felix Mitterer – Sibirien; Haymon Verlag, Innsbruck, ungekürzte Taschenbuchausgabe; Seite/n 15/16
[2] Felix Mitterer – Sibirien; Haymon Verlag, Innsbruck, ungekürzte Taschenbuchausgabe; Seite 18
[3] Felix Mitterer – Sibirien; Haymon Verlag, Innsbruck, ungekürzte Taschenbuchausgabe; Seite 65


Portfolioarbeit Siddhartha von Hermann Hesse - Literarische Facharbeit


Siddhartha
Der Autor Hermann Hesse wächst in einem protestantisch-pietistischen Elternhaus auf. Neben diesen Religionen, deren Regeln sich der junge Hesse untergeordnet sieht, prägen auch der Hinduismus, der Buddhismus und später der Taoismus seine Persönlichkeit.  Sein Vater und sein Großvater sind verantwortlich dafür, dass Hermann Hesse schon früh mit diesen Religionen vertraut gemacht wird, da sie immer wieder wegen Missionsarbeiten nach Indien reisen. Er verspürt schon früh den Drang aus dem frommen und strikt christlichen Weltbild der Eltern auszubrechen und die Depressionsphasen, die er schon im Altern von 15 Jahren hat, ziehen sich fort bis ins hohe Alter. Die Verzweiflung, die die vergebliche Suche nach seiner wirklichen Identität mit sich zieht, bringt ihn oft zu einem Tiefpunkt in seinem Leben. Als Therapie schreibt er seine Gedanken und Gefühle in verschiedenen Büchern nieder. Auch „Siddhartha“ schildert die Suche nach dem wirklichen Ich und erweckt dadurch – mit etwas Hintergrundwissen über Hermann Hesse – den schwachen Verdacht, dass es sich hierbei um eine Autobiografie handelt. Während der Entstehungszeit von 1919 bis 1922 durchleidet Hermann Hesse die tiefste Lebenskrise, was auch der Grund dafür ist, dass das Buch in zwei Teile unterteilt worden ist.
Was muss man tun um Vollkommen zu sein? Was muss man tun, welche Gebete sprechen, welche Taten vollbringen, welche Erfahrungen sein Eigen nennen, um von sich behaupten zu können, man ist vollkommen, man hat sein Ziel erreicht, sich selbst entdeckt und kennengelernt. Welche Stationen im Leben muss man gehen, welche Schritte tun, wie viele Entscheidungen treffen und wie viele Fehler machen, um sein Ich zu ergründen.
Siddharthas Ziel ist es seit langer Zeit dieses Ich zu erkennen. Sein Durst kann durch keine Lehre und keine weitergegebenen Weisheiten von Priestern oder heiligen Schriften gestillt werden. Er ist verwirrt, vom Weg abgekommen, der nie seiner war. Als Brahmanensohn ist es ihm vorherbestimmt von den Priestern die Lehren des Buddha zu vernehmen, sich der Versenkung hinzugeben, Opfer zu bringen während Opferlieder gesungen werden und die heiligen Waschungen durchzuführen, um sich immer wieder von den Sünden rein zu waschen. Doch er erkennt bald, dass er durch solche Tätigkeiten, wie sie jeder andere Brahmane auch tagtäglich durchführt, niemals den ewigen Kreislauf durchbrechen kann. Ihm dürstet es danach, die Erlösung zu finden, in dem er seinen eigenen Weg findet. Er befürchtet von den Priestern bereits alles von ihrer Weisheit erfahren zu haben. Sie können ihm nichts mehr geben. Aus diesem Grund beschließt Siddhartha eines Tages nach der Versenkung, zu den Samanas zu gehen, um dort zu versuchen, sein Ich zu finden. Sein Freund und Schatten Govinda folgt ihm – wie auch sonst überallhin – zu den im Wald lebenden Asketen. Nachdem Siddharthas Vater anfänglich nicht zustimmt, seinen Sohn gehen zu lassen, bleibt Siddhartha doch standhaft und bringt seinen Vater schließlich zu der Erkenntnis, dass er sowieso schon lange nicht mehr zu Hause weilt, sondern sich bereits bei den Samanas befindet
Die Samanas nehmen die beiden Brahmanensöhne auf und lehren sie. Die Entfremdung des Körpers und der damit verbundenen Gelüste, Gefühle und Schmerzen ist nun der Hauptbestandteil der Lehren. Siddharthas Ziel steht ihm allgegenwärtig vor Augen: Die Entselbstung des eigenen Wesens, damit er für das Wunder des Innersten offen sein kann. Er lernt, seinem Körper und seinem Ich zu entfliehen, nur um dann enttäuscht wieder fest zu stellen, dass er immer wieder den Weg zurück gehen muss. Auch hier lebt er mit der Qual des auferlegten Kreislaufes und sieht keinen Ausweg daraus. Siddharthas skeptische Charakterzüge verleiten ihn immer wieder zu Misstrauen, Misstrauen in die Lehren der Brahmanen und Samanas, Misstrauen in den Sinn des Lehrens und Lernens, Misstrauen in die Erreichung der Erlösung durch das Führen eines frommen Lebens eines Samanas. Und so kommt es, dass die beiden Brahmanensöhne nach knapp drei Jahren beschließen, Gerüchten zu folgen, die davon sprechen, dass ein Buddha erschienen sei, ein Askete, der es geschafft habe, aus dem Kreislauf auszubrechen und die Erfahrung der Erleuchtung zu machen. Govinda, seiner neugierigen Seite folgend, unterbreitet Siddhartha den Vorschlag, diesen Buddha aufzusuchen und sich seine Lehren anzuhören, denn die Erleuchtung zu erleben, sei schließlich auch Siddharthas Ziel.
Die beiden machen sich auf den Weg zu dem Hain, in dem Gotama mit seinen Mönchen lebt. Gotama selbst, sieht auf den ersten Blick wie alle anderen Mönche aus, die in dem Hain leben – ein Asket mit einem gelben Gewand. Doch Siddhartha erkennt sofort, welche Erhabenheit, Reinheit und Vollkommenheit in jeder der Bewegungen des Buddhas steckt, mit welchem Licht und Frieden sein Wesen umgeben ist und wie sehr er ihn, allein wegen seiner friedlichen und heiligen Ausstrahlung liebt. Er vernimmt zusammen mit Govinda seine Lehren, doch Siddhartha ist nicht besonders angetan von jenen. Govinda schließt sich in Eifer und Bewunderung dem Buddha an. Siddhartha jedoch spricht von einem Fehler in den Lehren, welche der Erhabene lehrt und zieht nach einem Gespräch mit dem vollendeten Buddha weiter. Govinda fällt der Abschied von seinem Jugendfreund schwer, aber Siddhartha erklärt ihm, dass Govinda alleine durch die Entscheidung bei dem Erhabenen zu bleiben, zu einem Mann geworden sein und somit nicht mehr der Schatten von Siddhartha ist, sondern nun dem Buddha folgen soll und ihm auf seinem Weg folgt.
Siddhartha lässt durch die Entscheidung, den Buddha, seine Lehren und Govinda zu verlassen, seine Vergangenheit und somit auch sein altes Ich zurück. Nun liegt es an ihm ein neues Leben anzufangen, fern von Heimat, Freunden oder Lehren. In einem Augenblick der Klarheit erkenn Siddhartha, dass er bis jetzt nichts klar gesehen hat, dass der Schleier des Nachdenkens und des Analysierens, der Schleier des Sehenwollens, seinen Blick unscharf gemacht hat. Er sieht nun alles in einem ganz anderen Licht, er erkennt plötzlich die Einfachheit der Beschaffenheit des Seins eines jeden Menschen und eines jeden Dinges auf der Welt. Bisher ist er der Meinung gewesen, dass hinter allem stofflichen auch etwas stecken muss, das er das „Wesen“ nennt. Dabei hat er ganz übersehen, dass alleine durch das Betrachten eines Dinges bereits der Großteil des jeweiligen Wesens zu Tage tritt. Er fühlt sich wie neu geboren, die Zukunft völlig offen und unbestimmt von Siddharthas Vergangenheit und unberührt von allem was er erlebt hat. Er fühlt sich allein…und in diesem Moment des Alleinseins, verspürt er den Wunsch, sein Wesen und seinen Weg neu zu definieren, um es am Ende seines Weges kennen zu lernen.
Im Folgenden, erfüllt von seiner neuen Art, die Welt zu sehen, erreicht er eine Stadt. Dort trifft er noch vor den Toren auf Kamala, eine Kurtisane. Er ist sofort von ihr begeistert und bittet sie am folgenden Tag ihm das Lieben zu lehren, mit allem was dazu gehört. Kamala erklärt sich dazu bereit, ihn zu unterrichten, doch zuerst muss Siddhartha Geld verdienen, um sich Kleider kaufen zu können und Schuhe. Solange Siddhartha nicht ein Geschäftsmann sei, werde Kamala ihn nichts lehren. Als sie ihn fragt was er könne, nennt er die Talente, die er im Laufe der letzten Jahre erlernt hat und mit denen er zu dem geworden ist, das ihn heute ausmacht: Denken, fasten und warten. Kamala sieht in diesen Talenten nicht viel Potenzial, um im Handel zu bestehen und überhaupt ein Geschäftsmann zu werden. Aber sind diese drei Talente doch jene, die vielen Menschen fehlen und welche sie zu besseren und vielleicht auch glücklicheren Individuen machen würden. Auch heutzutage sind es diese drei simplen Fähigkeiten (und Fähigkeiten sind sie wahrlich, da man sie erst erlernen muss), die unseren Alltag etwas weniger trist und überfüllt von Selbstmitleid gestalten würden.
Für Siddhartha ist es nichts Neues auf etwas hart hinzuarbeiten, beschreibt er sich selbst doch auch als Stein, der den schnellsten Weg wählt um sein Ziel zu erreichen. Und so lernt er den Geschäftsmann Kamaswami kennen.
Obwohl Siddhartha in diesem Kapitel lernt, mit Geld umzugehen und ein Geschäftsmann wird, steht doch die Liebe und Lust im Vordergrund. Die Geschäfte, Leiden, Schmerzen und Freuden der Menschen in dieser Stadt berühren ihn nicht. Er arbeitet, um sich mit Kamala verabreden zu können. Macht er Gewinn, nimmt er es zur Kenntnis, freut sich aber auch nicht großartig darüber und genauso verhält es sich auch mit den Verlusten, die er immer wieder hinnehmen muss. Im Gegensatz zu den Geschäftslauten und Bekannten, ist er zwar mit seinem Verstand dabei, aber die Leidenschaft, wie sie zum Beispiel Kamaswami empfindet, verspürt er nicht im Geringsten. Er sieht das Leben der „Kindermenschen“ als Spiel an und handelt zwar nach den Regeln, die hier gelten, steht dem Geschehen jedoch unbeteiligt gegenüber. Er bezeichnet sich selbst als Zuschauer, der das Leben und die Beweggründe der Bevölkerung nicht gänzlich versteht. Alle Ereignisse, die ihm wiederfahren, stehen von seinem Standpunkt aus in einem positivem Licht. Auch wenn ihm etwas Schlechtes passiert, macht er sich die Fähigkeiten, die er bei den Samanas gelernt hat zu Nutze und bewirkt so, dass die Geschehnisse ihn nie wirklich in seinem Innersten berühren. Die Menschen in seiner Umgebung lernen den geduldigen Geschäftsmann zu schätzen und beklagen nun bei ihm ihre Sorgen, bitten um sein Mitgefühl und erbeten seinen Rat. Kamala lernt ihm indes alle ihre Künste, alle ihre Techniken und die Regeln der Liebe und der Lust. Als sie sich nach einem Lustspiel unterhalten, erzählt sie ihm, dass er ihr stärkster und bester Liebhaber sei und sie eines Tages ein Kind von ihm wolle. Sie stellt außerdem fest, dass er zwar die Regeln des Spiels der Kindermenschen gut lerne und einhalte, im Innersten jedoch immer noch ein Samana sei und auch, dass er deshalb nie wirklich lieben könne.
In den folgenden Jahren verblasst die Erinnerung an das Erwachen nach dem Verlassen des Hains des Buddhas immer mehr. Siddhartha ähnelt immer mehr den Kindermenschen und füllt seine Seele Tag um Tag mit Sorgen, Missmut und kindlicher Torheit. Seine Sinne schärfen sich nach Jahren der Abtötung bei den Samanas wieder und machen ihm nur allzu klar, wie abhängig er von Gütern geworden ist und wie sehr er sein Leben von Erfolg oder Verlust im Geschäft bestimmen lässt. Seine Seele wird träge, genauso wie sein Denken. Der einst stolze und erhabene Siddhartha verkümmert immer mehr zu einem von ihm verachteten Kindermenschen. Die Ungeduld in ihm wächst, die Schläfrigkeit steigt und die Faulheit zieht in seinen Geist ein. Doch es gibt immer noch eine Sache, um welche er die Kindermenschen beneidet: ihre Fähigkeit jemanden oder etwas mit dieser kindlichen Naivität zu lieben und sich mit Leidenschaft dieser Liebe zu einem Ding oder einer Person hinzugeben. Da sein Leben immer grauer und trüber wird, entwickelt sich eine gewisse Sucht, die wir heutzutage wohl die Sucht nach dem Adrenalinkick nennen würden. Er empfindet in nichts das er in seinem Leben tut mehr Glück oder Freude und diese Tatsache bringt ihn dazu, die Gefühle im Würfelspiel zu suchen und teilweise auch zu finden. Durch hohe Einsätze, die er regelmäßig verspielt, versucht er, wie er es ausdrückt, dem Reichtum und der Habgier sein Verabscheuen zu zeigen. Eines Nachts, nachdem er einige Zeit mit Kamala verbracht und sich von dem Zusammensein seiner Bekannten verabschiedet hat, klärt ein Traum den Nebel, der ihn in letzter Zeit umhüllt und festgehalten hat. In diesem Traum sieht er einen seltenen Singvogel, den er bei Kamala in einem Käfig immer bewundert hat, sterben und seine Stimmte für immer verklingen. Diesen toten Vogel nimmt Siddhartha gefühllos in die Hände und wirft ihn auf die Gasse. Erschrocken von jener Gefühllosigkeit mit welcher er den Vogel beseitigt hat, bemerkt er, dass auch seine innere Stimme gestorben scheint und somit auch das Wesen, das ihn immer ausgemacht und abgehoben hat von der Menge der Kindermenschen. Er beschließt, seinen Weg weiter zu gehen und verlässt die Stadt. Kamaswami lässt nach ihm suchen, Kamala jedoch hat dies immer geahnt und wundert sich nicht sehr darüber. Einige Wochen nach dem Verschwinden von Siddhartha, erfährt Kamala, dass sie schwanger sei.
IN tiefster Verzweiflung und versunken in Ekel vor sich selbst, wünscht sich Siddhartha nichts sehnlicher als den Tod, da ihn auch nichts mehr auf dieser Welt hält. Er hat bereits den Entschluss gefasst, sich in einem Fluss zu ertränken, den er einstmals nach dem Erhören des Gotamas mit einem Fährmann überquert hat, doch in diesem Moment des Entschlussfassens, hört er das Om aus seinem Inneren erklingen und erkennt die Torheit seines Tuns. Als Siddhartha aus einem tiefen und „verjüngendem“ Schlaf erwacht, sieht er sich Govinda gegensitzen, dieser jedoch erkennt ihn anfänglich nicht. In Gedanken durchreist er nun die Stationen in seinem Leben und sieht sich wieder als Kind und somit kindlich am Anfang stehen. Er ist erleichtert über die Tatsache, dass der Vogel in seinem Inneren trotz allem noch lebt und ihm selbst in seiner verzweifeltsten Stunde errettet hat. Er sieht seine Vergangenheit in dem Moment des Nachdenkens am Fluss in einem völlig anderen Licht und begreift, dass in den Jahren in denen er das Denken, Warten und Fasten erlernt hat, eigentlich nur sein hochmütiges Ich gefüttert hat, nicht jedoch abgetötet, wie er es bisher immer angenommen hat. Durch die Lust- und Machtspielchen, denen er sich als Geschäftsmann hingegeben hat, hat er auch den Samana und somit den alten und müden Siddhartha in sich getötet. Durch das Aufwachen aus dem tiefen Schlaf ist er in ein neues Leben erwacht.
Im Folgenden trifft Siddhartha auf den Fährmann von damals. Diese Begegnung bewahrheitet die Aussage des Fährmannes von damals: dass man sich immer ein zweites Mal im Leben trifft. Siddhartha nimmt die Einladung in die Hütte des Fährmannes Vasudeva dankend an und erzählt ihm auch seine Geschichte. Siddhartha beobachtet, mit welcher Hingabe der Fährmann seiner Geschichte lauscht und ist fasziniert, wie der Fährmann dieses Zuhören zu einer wahren Fähigkeit verwandelt. Er verrät Siddhartha auch, dass auch er dieses Geheimnis des Zuhörens vom Fluss lernen wird. Folglich lernt Siddhartha von Vasudeva, Boote zu bedienen und arbeitet für ihn. Vor allem jedoch, lernt Siddhartha in der Zeit, in der er am Fluss lebt von genau diesem. Nach einigen Jahren, erreicht die Beiden das Gerücht, dass der Erhabene, der Buddha, Gotama schwerkrank sei und bald für immer ins Nirwana eingehen würde. Kamala, welche sich mit ihrem Sohn auf den Weg zu Gotama macht, wird auf ihrem Weg, kurz vor dem Fluss, von einer Schlange gebissen. Siddhartha und Vasudeva kümmern sich um sie, doch der Todeskampf währt nicht mehr lange. Der letzte Gedanke, der in ihrem Kopf spross, ist jener, dass sie zwar zu Gotama pilgern wollte, um sein heiliges und vollendetes Gesicht zu sehen, es aber ebensogut ist, wenn sie nur in Siddharthas Gesicht blickt. In den Momenten nach Kamalas Tod, gedenkt Siddhartha der ewigwährenden Momenten und empfindet das Gefühl der Ewigkeit.
Siddharthas Sohn bleibt bei den beiden Fährmännern, die Erziehung von diesem jedoch, hat aus ihm einen verwöhnten Jungen gemacht, der weder die dargebotene Liebe von seinem Vater annehmen will, noch sich seinem Schicksal beugen und die Tatsache akzeptieren, dass er nun bei seinem Vater leben müsse. Vasudeva rät dem verzweifelten Siddhartha, seinen Sohn wieder in die Stadt zurück zu bringen – in seine bekannte Welt zurück, in der er aufgewachsen ist. Siddhartha, vollkommen hingerissen von seinem Sohn, will mit allen Mitteln verhindern, dass der kleine Siddhartha die gleichen Fehler macht, mit denen auch er sich konfrontiert gesehen hat – Geld- und Machtsucht. Vasudeva gibt ihm den weisen Rat, dass kein Vater seinen Sohn vor Fehlern bewahren kann und dass jeder sie selbst machen muss, um weise zu werden. Siddhartha, der sich immer noch weigert sein eigen Fleisch und Blut gehen zu lassen, sieht sich nun mit einer unangenehmen Tatsache konfrontiert. Nun, nach seiner ganzen langen Reise, nach Enttäuschungen und Fehlern, nach Absinken in die seiner Meinung nach verachtenswerteste Weise zu leben und nach Phasen der Verzweiflung und des Aufgebens, ist aus ihm nun ein wahrhaftiger Kindermensch geworden. Denn nun ist der Moment gekommen, in dem er bedingungslos liebt, der Liebe Tor geworden ist und in dem Gefühl der unerwiderten Liebe seinem Sohn gegenüber, sowohl Schmerz als auch Freude empfindet. Eines Tages ist der kleine Siddhartha verschwunden und natürlich versucht sein Vater ihn auf dem Weg zur Stadt einzuholen. Doch mitten im Weg sieht er ein, dass sein Handeln und sein Bedürfnis ihn zu sehen, töricht ist. So kehrt er verletzt und traurig zum Fluss zurück.
Nun, da Siddhartha selbst Liebe und den damit verbundenen Schmerz empfunden hat, fühlt er sich in der Lage mit allen anderen Menschen mitzufühlen. Er verachtet sie nun nicht mehr und beneidet sie sogar um manches. Das erste Mal, seit er seine Reise angetreten hat und unter den Kindermenschen gelebt hat, fühlt er sich wie einer von ihnen und sich durch eine eigentümliche Art mit ihnen verbunden. Durch viel Nachdenken, gelangt er zu dem Schluss, dass jeder Mensch im Grunde gleich ist.
Nachdem Siddhartha einen weiteres und letztes Mal seinem inneren Trieb nachgibt und seinen Schmerz um den Verlust seines Sohnes stillen will, indem er ihm in der Stadt aufsucht, hält ihn dieses Mal der Fluss auf, seinen Weg bis zum Ende zugehen. Er erblickt in der Wasseroberfläche sein Spiegelbild und wird unwillkürlich an seinen eigenen Vater erinnert und daran, dass auch dieser denselben Schmerz ausgehalten haben muss, als Siddhartha ihn damals verlassen hat und nie wieder zurückgekehrt ist. Im Folgenden öffnet Siddhartha sich Vasudeva gegenüber vollkommen, erzählt dem Erhabensten der Zuhörer alle seine Gedanken und erkennt mitten im Monolog, dass auch Vasudeva zu jenen Menschen gehört, die vollendet sind und dass Siddhartha nicht weit davon entfernt ist, so zu werden wie er. Während er fortfährt, seine Gefühle Vasudeva gegenüber zu beschreiben, nimmt er leise Abschied von seinem Lehrmeister. Nach dem öffnenden Gespräch, lauschen beide dem Fluss und Siddhartha macht eine Erfahrung, wie er sie bisher noch nie erlebt hat. Obwohl er von Anfang an realisiert hat, dass der Fluss tausend Stimmen besitzt – lachende, weinende, kindliche, weise… - fällt ihm jetzt erst auf, dass alle diese Stimmen ineinander verwoben und auf tausendfache Weise verbunden sind und so ein klares einheitliches Bild ergeben. Er hat nun den Blick für das Alles in einem jeden Einzelteil, sieht die Vollendung in allem und jedem. Dieses letzte Lauschen mit Vasudeva, der Siddhartha bald darauf verlässt und in den Wald geht, hat Siddhartha die Erleuchtung gebracht.
Als Siddhartha ein letztes Mal auf seinen Jugendfreund Govinda trifft, diesem erzählt, wie sein Leben verlaufen ist und ihm erklärt, dass man Weisheit nicht mitteilen kann, stehen sich der ewig Suchende und der Erleuchtete gegenüber und bilden so einen krassen Gegensatz. Govinda, ewig ein Ziel vor Augen und beinahe blind vor Versessenheit auf das Finden und Siddhartha, frei von Leidenschaft, Wünschen, Urteilen, Meinungen, Aufgaben und Zielen. Siddhartha hat Weisheit dadurch erlangt, selbst Erfahrungen zu machen, von ganz oben nach ganz unten zu fallen, sich jeglichen Lastern und Wünschen der Kindermenschen – also des einfachen Lebens – hinzugeben, an von Verzweiflung und Selbsthass hervorgerufenen Selbstmordgedanken beinahe zu sterben und hat sich trotz allem wieder hoch raffen können und ist nur durch Lauschen, durch Still werden und einfachem Leben zur ewigen Weisheit gelangt und somit zu einem Heiligen geworden. Govinda jedoch ist sein Leben lang den Regeln seines Glaubens gefolgt, hat ein striktes Ziel vor Augen gehabt, das zu finden seine Lebensaufgabe dargestellt hat.
So sehr Siddhartha vernünftig, gelehrig und gehörig ist – ob es nun seinem Vater oder den Regeln einer Religion oder einer Lebensweise gegenüber betrachtet wird – so ist er auch genauso willensstark und eigensinnig, wenn es darum geht, ein Ziel zu erreichen.